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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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Heraufbeschwören eines Zaubers, als hätte es nicht mehr Bedeutung als das Entzünden eines kleinen Lagerfeuers, um Teewasser zu kochen. Und selbst jetzt, während ich bei der Aussicht darauf, Großmutters Auftrag zu vollenden, zitterte, wusste ich, wenn ich nicht weiterkam, gab es andere, denen zu schaden sie mich zwingen konnte. Wer würde die Nächste sein? Die scheue, wachsame Sibeal mit ihren dunklen Augen, die lebhafte Deirdre, die so viele Stimmungen hatte wie ein Herbsttag, die praktische, aufmerksame Clodagh oder Tante Aislings kleine Eilis? Alle waren mir ans Herz gewachsen, obwohl ich mich angestrengt hatte, Distanz zu wahren. Inzwischen waren sie mir so lieb wie Schwestern. Würde ich sie nicht alle in Gefahr bringen, wenn ich mich nicht an Großmutters Plan hielt?
    Ich wusste, was sie von mir hier in Glencarnagh erwartete. Sie selbst wäre problemlos damit fertig geworden. Ich konnte sie beinahe vor mir sehen, in ihrer verwandelten Gestalt mit glänzenden rötlichbraunen Locken und wohlgeformter Figur, mit unschuldigem Lächeln und großen Augen, wie sie sich um ihr Opfer bemühte und ihn mit ihrem betörenden Charme gegenüber der Wirklichkeit blind werden ließ, wobei sie immer ein winziges Bisschen außerhalb seiner Reichweite blieb, so dass er, wenn er sie verzweifelt verfolgte, unweigerlich vom sicheren Weg abweichen musste.
    Ich wusste, wie man so etwas tat. Sie hatte es mir ausführlich beigebracht. Aber ich würde es nicht tun, nicht wenn es eine andere Möglichkeit gab. Es war etwas zutiefst Schäbiges daran, ein Ziel mit solchen Mitteln zu erreichen, ganz gleich, wie wichtig dieses Ziel sein mochte. Es war ein Zweig meines Handwerks, den ich lieber ungenutzt lassen wollte. Ich würde ein wenig warten; ich würde eine andere Möglichkeit finden. Und daher betrachtete ich unseren Aufenthalt in Glencarnagh zunächst mit der schlichten Dankbarkeit einer Gefangenen, die plötzlich freigelassen wurde. Ich sah zu, wie die Mädchen auf der Wiese Ball spielten oder einander durch den Irrgarten scheuchten, wie sie in einem Zimmer, das vom Kerzenlicht gemütlich gemacht wurde, Nüsse über dem Feuer rösteten, und ich spürte, wie die Kälte in meinem Geist ein wenig nachließ.
    Ich hatte erwartet, so weiterzumachen wie zuvor: Tagsüber den Mädchen Gesellschaft zu leisten und abends zu beobachten, vielleicht in ein paar Gespräche einbezogen zu werden, wenn es meinem Gastgeber passte. Ich war nicht zur Musik begabt, ich konnte niemanden unterhalten – es wäre wohl kaum angemessen, nach dem Abendessen die Druidenüberlieferung zu rezitieren. Was ich an Begabung besaß, konnte ich nicht mit anderen teilen. Ich hoffte, auch ein wenig Zeit für mich zu erhalten, damit ich meine Gedanken sortieren konnte. Mehr als das erwartete ich nicht.
    Aber Eamonn hatte andere Vorstellungen, und das machte er bald klar. Die Mädchen waren am ersten Abend müde vom Ritt und gingen früh zu Bett. Auch ich hatte vor, mich früh zurückzuziehen, denn ich hatte ein schönes Zimmer für mich allein erhalten und sehnte mich nach Einsamkeit und Ruhe. Seit dem Feuer hatte ich selbst die Nächte kaum allein verbracht, denn für gewöhnlich kam ein Kind oder das andere auf Zehenspitzen hereingeschlichen, weil es von einem Albtraum wach geworden war und bei mir Schutz gegen die Finsternis suchte. Dass sie zu mir kamen, erschien mir wie reine Ironie und half nicht, mich zu beruhigen. Aber hier hatte man den Kindern ein Zimmer mit vier Betten gegeben und eine Dienerin kümmerte sich um sie, und ich würde, wie Eamonn sagte, als wir beide an diesem Abend vor dem Feuer saßen, wieder einmal ungestört schlafen können. Die Halle in Glencarnagh war viel kleiner als der große Raum in Sevenwaters, und die Wärme des Feuers drang bis in alle Ecken. Die Möbel waren derart auf Hochglanz poliert, dass man sich darin spiegeln konnte, und die Stuhllehnen waren kunstvoll geschnitzt und zeigten kleine Geschöpfe und Ranken. Ich trank einen Schluck von dem guten Wein, den man mir serviert hatte, und nickte schweigend.
    »Ich habe gesehen, wie meine Schwester dich in Sevenwaters arbeiten lässt«, sagte Eamonn ruhig. »Deine Herkunft mag vielleicht im Dunkeln liegen, aber du bist die Nichte ihres Mannes und solltest auch so behandelt werden. Dich einfach wie eine Dienerin zu nutzen ist unangemessen. Hier bist du mein Gast.«
    »Ich –« Seine Worte hatten mich verblüfft. Überrascht stellte ich fest, wie gerne ich Tante Aisling im Haushalt

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