Das Kind der Stürme
streichelte sanft Aoifes weißes Fell. ›Ich habe sie ausgewählt und sie mich. Das hat nichts mit Einfangen zu tun und nichts mit Besitzen. Sie kann gehen, wenn sie möchte. Außerdem könnte ich mich nie von ihr trennen. Jetzt nicht mehr. Sie bringt mir Glück.‹
Die Zeit verging, und Darragh wurde von vielen Leuten Arbeit angeboten, denn er konnte gut mit Pferden umgehen. Nicht jeder hat die Fähigkeit und die Geduld, ein wildes Geschöpf nur mit Liebe zu zähmen. Er trennte sich nicht von Aoife und sie sich nicht von ihm. Die beiden wurden eine Art von Legende. Die Menschen zeigten auf den dunkelhaarigen jungen Mann mit seinem goldenen Ohrring, wenn er auf seinem schönen weißen Pony an ihren Hütten vorbeiritt.
›Dieser Junge da ist selbst ein halbes Pferd‹, sagte jemand einmal.
›Ich habe es anders gehört‹, wandte ein anderer ein. ›Es heißt, das Pferd sei ein Feenpferd. Es verwandelt sich nachts in ein wunderschönes Mädchen und tagsüber wieder in eine Stute. Kein Wunder, dass er sie nicht aufgeben will.‹
Aber Darragh grinste nur schief und berührte Aoifes Flanke sanft, und dann ritten die beiden in die Abenddämmerung hinein. Das ist im Augenblick das Ende der Geschichte.«
Maeve schien zu schlafen, ihr Atem war ruhiger geworden, und sie hielt Riona immer noch fest im Arm. Ich zupfte die Decke um ihre kleine Gestalt zurecht.
»Ist das eine wahre Geschichte?«, fragte die kräftige Dienerin, zögernd. Sie hatte meiner Geschichte wie gebannt zugehört.
»Wahr genug«, sagte ich und dachte, dass es gut war, dass die von meiner Art nicht weinen konnten, denn ansonsten hätte ich mich gewaltig zum Narren gemacht. »Ich habe selbst einmal auf diesem Pony gesessen. Sie ist genauso klug und schön, wie diese Geschichte sie beschreibt.«
»Du bist eine gute Erzählerin.« Muirrin stand von ihrem Stuhl auf und streckte sich müde. »Während du erzählt hast, war es – es war, als wärest du ein ganz anderer Mensch.«
Ich antwortete nicht. Alle Geschichten der Welt, alle schönen Erinnerungen, konnten nichts mehr an dem ändern, was geschehen war. Nicht für Maeve; für keine von uns. Ich war froh, dass Darragh davongegangen war. Ich war froh, dass ich ihn nie wieder sehen würde. Welcher Junge, der noch bei Verstand war, würde eine Freundin wie mich haben wollen?
»Muirrin«, sagte ich, weil mir erst jetzt wieder einfiel, wieso ich gekommen war. »Hast du gehört, dass wir alle nach Glencarnagh gehen, die Mädchen und ich?«
»Ja«, sagte Muirrin mit einem schiefen Grinsen. »Ichfand das ziemlich überraschend. Ich frage mich, was Onkel Eamonn zu dieser plötzlichen freundlichen Geste gebracht hat?«
»Ich denke, er versucht nur zu helfen.«
»Mag sein, mag nicht sein. Die Mädchen waren nie zuvor allein dort, nur bei offiziellen Besuchen mit Mutter und Vater. Onkel Eamonn hat es sehr mit der Angemessenheit. Er folgt immer den Regeln.«
»Er bricht auch diesmal keine. Immerhin ist er euer Onkel.«
»Mhm.« Muirrin warf mir einen neugierigen Blick zu. »Solange du weißt, was du tust.«
»Ich – ich muss dich um einen Gefallen bitten«, sagte ich. »Die Kinder wollen Maeve sehen, bevor sie gehen. Es ist offenbar wichtig für sie. Sie haben mich hergeschickt, um dich zu überreden, dass du sie eine Weile hereinlässt.«
Muirrin verzog das Gesicht. »Das wird sie nur aufregen, und dann regt sich Maeve auch auf. Du begreifst vielleicht nicht, wie krank sie ist, Fainne. Sie hat einen schrecklichen Schock erlitten, und sie ist sehr schwach. Ich möchte nicht riskieren, dass sich diese Wunden noch weiter entzünden; das könnte sie umbringen. Verzeih mir, dass ich so offen bin, aber ich muss alles tun, um sie am Leben zu erhalten, bis Tante Liadan kommt. Das ist wirklich keine gute Idee.«
»Bitte lass sie hereinkommen.« Ich benutzte einen Zauber, so unauffällig ich konnte, um überzeugender zu klingen. »Ich will dich nicht quälen – aber Sibeal hat gesagt, was, wenn Maeve stirbt, und wir nicht hier sind? Sie denken viel darüber nach. Ich werde ihnen sagen, dass sie ihre Bemerkungen für sich behalten und ihre Schwester nicht aufregen sollen. Bitte, Muirrin.«
Nun sah Muirrin mich wirklich sehr forschend und mit einer sehr seltsamen Miene an, als versuchte sie, eine Seite mit Wörtern zu entziffern, die in einer Sprache geschrieben waren, die ihr sowohl vertraut als auch unbekannt war.
»Also gut«, sagte sie schließlich, »ich kann wohl kaum Nein sagen. Ich werde nach euch
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