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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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schleichst, Kind. Ich möchte, dass sie dir trauen. Ich möchte, dass sie dich lieben. Dann, ganz am Ende, wechselst du die Seiten. Du drehst dich um, lächelst und versetzt ihnen den tödlichen Schlag. Du bist für diese Aufgabe wie geschaffen, Fainne. Es ist deine Aufgabe, und nur deine.«
    »Ich werde es nicht tun. Bestrafe mich, so schwer du willst. Ich kann die Unschuldigen nicht weiter verletzen und meine Fähigkeiten missbrauchen und ungeachtet aller Konsequenzen weitermachen. Ich könnte es nicht einmal, wenn das Ziel etwas wäre, woran ich glaubte.«
    Eine Weile schwiegen wir beide. Ich versuchte mit aller Beherrschung, die ich aufbringen konnte, zu atmen und fragte mich, wann der nächste Schmerz zuschlagen würde.
    »Hast du nicht etwas vergessen?«, fragte meine Großmutter in aalglattem Ton. Sie zeigte auf die glühenden Kohlen. Ich drehte mich um. Noch während ich hinstarrte, stiegen die Flammen auf, drehten und flackerten und formten ein Bild. Ich sah meinen Vater allein in seinem Arbeitszimmer. Rings um ihn her gab es statt der ordentlich aufgeräumten Regale, der Reihen von Flaschen und Tiegeln, den Manuskripten und Schriftrollen nur Durcheinander, als wäre alles, was er je besessen hatte, jeder Talisman, jedes Zauberbuch, jede geheimnisvolle Zutat, durcheinander geworfen worden. Er hockte in der Mitte auf dem Boden und rang nach Atem, seine Brust hob und senkte sich angestrengt, und er hatte den Mund im Kampf um Luft weit aufgerissen. Seine Kleider hingen in Fetzen an ihm. Er war beinahe zum Skelett abgemagert, eine zerbrechliche Ansammlung von Knochen, die offenbar nur von der fest gespannten, bleichen Haut zusammengehalten wurde. Er blickte auf und sah mich direkt an, mit den leidenschaftlichen, dunklen Augen meiner Großmutter.
    In meinem Herzen wandte ich mich ab. Ich nahm all meine Willenskraft zusammen, aber meine Stimme zitterte.
    »Ich kenne meinen Vater«, sagte ich. »Das hier ist ein schrecklicher Anblick, falls es denn tatsächlich eine wahre Vision sein sollte. Aber Vater sucht den Weg des Lichts, obwohl er ihm verschlossen ist. Er würde lieber leiden und sterben, als zuzusehen, wie die Unschuldigen sterben und gute Dinge zerstört werden, weil ich ihn schützen wollte. Ich kenne ihn. Ich kenne ihn besser als du, obwohl er dein einziger Sohn ist.«
    Dann spürte ich wieder den Schmerz, diesmal in meinem Fuß, wie er brannte und sich verdrehte, als befänden sich die Knochen selbst in einer eisernen Faust und würden fest gedrückt. Ich schrie vor Schmerz auf.
    »Du hast diesen Fuß nie besonders gemocht, nicht wahr?«, stellte Großmutter freundlich fest. »Du hast dir immer gewünscht, du könntest hübscher sein. Und wer könnte es dir schon übel nehmen? Ich habe keine Ahnung, wieso du den Zauber nicht öfter einsetzt, der deinen Fuß gesund aussehen lässt. Dennoch, du bist hier im Haus eines einflussreichen Mannes, der immer noch unverheiratet ist. Ein guter Fang. Denk doch nur nach, Fainne. Sobald Sevenwaters besiegt ist, kann dieser Bursche alles haben. Alle drei Landsitze. Dein Sohn könnte das erben. Ciaráns Enkel. Einer von unserer Art. Er wäre der größte Landbesitzer in Ulster. Und du seine Mutter. Wer braucht schon Schönheit, wenn man solche Macht haben kann?«
    Wieder verspürte ich entsetzliche Qual in meinem Fuß, und ich biss die Zähne zusammen, um nicht noch einmal aufzuschreien. Die Schmerzen ließen nach.
    »Da«, sagte sie ruhig. »Sieh ihn dir an.«
    Ich schaute nach unten und spürte, wie ich bleich wurde. Wo sich zuvor mein rechter Fuß befunden hatte, der ein wenig anders war, ein wenig verbogen, ein wenig nach innen gedreht, sah ich nun die Tatze eines Ungeheuers, die Parodie eines Fußes mit haariger, geschwollener Haut, klobigen Zehen und gebogenen gelben Klauen so dick wie Horn.
    »Ich könnte noch mehr tun«, sagte sie. »Viel mehr. Die Hände. Das Gesicht. Der Körper selbst. Eins nach dem anderen. Die Männer würden schreiend vor dir davonlaufen. Du würdest niemals wieder wagen, einen Fuß vor diese Tür zu setzen. Und du willst mir immer noch trotzen?« Sie ließ sich lässig auf dem Bettrand nieder und lächelte.
    Ich starrte diese Monstrosität an, die ich nun anstelle eines Fußes hatte. Ich beschwor einen Zauber herauf, um ihn zurückzuverwandeln. Ich murmelte die Worte.
    »O nein«, sagte Großmutter leise. »So einfach ist das nicht.« Und bevor ich mit der Beschwörung fertig war, befand sich der Gegenspruch bereits an Ort und Stelle und

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