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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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mitgebracht hatte, ganz nach unten, wo es sicher sein würde. Eines der Mädchen hatte bestimmt ein Stück Schnur oder etwas anderes, das ich benutzen könnte.
    Vielleicht hatte das Wasser mich beruhigt. Mein Kopf fühlte sich nun jedenfalls klarer an. Und jetzt brach draußen die Sonne durch die Wolken. Das Zimmer kam mir plötzlich heller vor. Ich streckte mich und setzte mich wieder vor das Feuer. Ich faltete die Hände im Schoß und schloss die Augen. Diesmal würde ich das geistige Auge benutzen, um mir meinen geheimsten Ort vorzustellen, den Ort meines Herzens. Eine kleine Höhle, beinahe unter der Erde, aber nicht ganz. Das Licht von hellem Blaugrau, als wären Licht und Schatten an diesem kleinen geheimnisvollen Ort eins. Das einzige Geräusch das leise Plätschern der Wellen an einem Sandstrand, der keine zwei Schritte lang war. Ein Ort, an dem Erde und Wasser und Himmel sich auf die wunderbarste Weise begegneten und einander berührten. Mein Geist war ruhig. Mein Herzschlag war stetig. Eine Art Frieden senkte sich über mich. Langsam bewegte ich mich in das Reich jenseits des Denkens, in das Reich des Lichts.
    Einige Zeit später klopfte es wieder an der Tür, und Stimmen erklangen.
    »Fainne! Bist du wach?«
    Das war Clodagh. Sie hatte es sich offenbar anders überlegt und sich entschlossen, mich doch zu stören. Aber ihre Worte gingen ohne Bedeutung an mir vorbei. Ich blieb reglos; ich war zu weit entfernt, um so leicht zurückgerufen werden zu können.
    »Fainne!« Sie gab nicht so schnell auf. Und dann erklang eine andere Stimme, die eines Mannes.
    »Ich dachte, man hätte euch gesagt, ihr solltet eure Cousine heute in Ruhe lassen.«
    »Ja, Onkel, aber –«
    »Hat eure Mutter euch denn keinen Gehorsam beigebracht?«
    Kurzes Schweigen, dann: »Ja, Onkel Eamonn.«
    »Es würde sie nicht freuen zu hören, dass ihr euch entschlossen habt, ungehorsam zu sein, und das auch noch in einem Haus, in dem ihr zu Besuch seid.«
    »Ja, aber –«
    »Du hast gehört, was ich gesagt habe, Clodagh. Deine Cousine ist müde, und es geht ihr vielleicht nicht gut. Wir sollten ihre Wünsche achten. Ich habe sie hierher gebracht, damit sie ein wenig Ruhe hat, nicht, damit sie ununterbrochen belästigt wird. Und jetzt findet irgendetwas Nützliches zu tun. Alle.«
    Widerspenstiges Schweigen folgte. Dann drei oder vielleicht vier leise Stimmen. »Ja, Onkel Eamonn.« Schritte verklangen, dann war es wieder still. All das hatte ich gehört und war dennoch an meinem geheimen Ort, meiner Zuflucht geblieben. Irgendwo tief in meinem Geist kam mir ein Gedanke: Es ist Zeit, sie nach Hause zu bringen. Nach Hause nach Sevenwaters. Nach Hause in den Wald.
    Bis der Abend dämmerte, hatte ich meine Meditation beendet und war langsam wieder ins Hier und Jetzt zurückgekehrt. Ich war müde, aber auch verändert. Ich hatte das Gefühl, wenn ich jetzt schliefe, würde ich vielleicht keine schlimmen Träume haben. Mein Geist war ruhig. Nach dem Fasten und dem Schweigen kam mir mein Körper irgendwie geläutert vor. Ich war mir selbst ein wenig näher gekommen, dem Ich aus Kerry, dem Mädchen, von dem ich vor kurzem noch geglaubt hatte, ich hätte es verloren. Vielleicht war sie doch die ganze Zeit da gewesen, dieses Mädchen, das Entscheidungen fällen und vorausschauen konnte und wusste, wo man anfing und aufhörte. Vielleicht hatte ich nur Stille gebraucht, um sie zu finden.
    Ich würde nicht zum Abendessen nach unten gehen. Ich wollte mich an dieses Gefühl klammern. Ich wollte, dass es stärker würde, besonders, damit ich zu Eamonn gehen, ihm für seine Gastfreundschaft höflich danken und ihm dann sagen konnte, dass ich die Mädchen sofort nach Hause bringen wollte. Es gab nichts zwischen uns zu verhandeln, würde ich sagen. Wir hatten beide einen Fehler gemacht. Die ganze Sache war ein Missverständnis.
    Ich legte mich aufs Bett, mit einer Decke zugedeckt, und übte diese Ansprache im Geist. Es wäre wichtig, es gleich beim ersten Versuch richtig zu machen. Eamonn war ein mächtiger Mann, ganz gleich, welche Mängel er hatte, und ich wollte ihn nicht gegen mich aufbringen. Aber wir mussten gehen. Das war mir inzwischen vollkommen klar. Ich konnte es einfach nicht über mich bringen zu tun, was Großmutter wollte. Ich war nicht, wofür sie mich hielt. Ich konnte nicht sein wie sie. Selbst wenn sie tat, womit sie drohte, und meinen Vater verletzte, würde ich es immer noch nicht tun können. Wenn die Alten Recht hatten, ging es nicht nur

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