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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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darum, einen Kampf zu verlieren oder zu gewinnen. Es ging weit darüber hinaus. Es ging um den Unterschied zwischen einer Zukunft oder überhaupt keiner Zukunft. Solch wichtige Ereignisse würden doch ohnehin ihren Lauf nehmen, ganz gleich, was ich tat oder nicht. Ich würde es Großmutter sagen müssen. Ich würde mich weigern zu tun, was sie wollte, und die Folgen eben aushalten müssen. Vielleicht sollte ich Conor um Rat bitten. Vielleicht sollte ich ihm die Wahrheit sagen und mich seinem Urteil ausliefern.
    Ich war müde. Das Feuer glühte golden, die Kerze brannte stetig. Die Menschen des Haushalts saßen jetzt beim Essen, die Kinder in ihren eigenen Zimmern, wo sie sich vielleicht darüber stritten, ob sie mich nun hätten wecken sollen oder nicht, wie banal der Grund auch gewesen sein mochte. Die Männer und Frauen saßen in der warmen Küche. Der Herr des Túath saß allein an seinem schönen Tisch. Ich zwang mich, kein Mitgefühl für ihn zu empfinden. Seine Einsamkeit war seine eigene Schuld, seine eigene Entscheidung.
    Warm und entspannt, war ich kurz davor einzuschlafen. Ich fragte mich, was die Mädchen wohl gewollt hatten. Nachdem Eamonn sie weggeschickt hatte, waren sie nicht wiedergekommen. Wahrscheinlich ein kleines Drama, ein Schnitt in den Finger oder eine Katze, die verschwunden war. Es gab viele Leute hier, die ihnen helfen würden. Ich verstand nicht, wieso sie immer zu mir kommen mussten. Jetzt würde ich schlafen und gute Träume haben, von Meer und Himmel, von alten Mythen und Zeiten der Unschuld. Am Morgen würde ich dann von vorne anfangen, so mutig wie ich konnte.
    »Fainne.«
    Zunächst weigerte ich mich einfach, es zu glauben. Ich drückte die Augen fest zu, als wollte ich die vertraute Stimme abstreiten, die ich direkt neben meinem Bett hörte.
    »Fainne! Steh auf!«
    Sie war hier. Nicht nur ihr Bild in den glühenden Kohlen, nicht nur das leise Flüstern ihrer Stimme in meinem Kopf, sondern Großmutter selbst, hier bei mir, in meinem dunklen und verschlossenen Zimmer. Mir war eiskalt vor Schreck, und ich drehte den Kopf und ließ meine Augen bestätigen, was mein bebendes Herz bereits wusste. Dort stand sie, keine zwei Schritte von mir entfernt, in ihrer Altfrauengestalt mit wirrem Haar, abgetragenen Kleidern, klauenartigen Fingern und zornigem Blick. Ihre Stimme bebte vor Wut.
    »Steh auf! Sofort! Stell dich hierher, ja, direkt vor mich, und erkläre mir das, Mädchen!«
    Ich tat, was sie gesagt hatte, schaudernd in meinem Nachthemd. Alle Gefühle von Frieden und Selbstvertrauen waren verschwunden, sobald ich ihre Stimme erkannt hatte.
    »W-wie bist du hierher gekommen?«, flüsterte ich.
    »Du glaubst, ich kann mich nicht von einem Ort an den anderen versetzen?«, fauchte sie. »Du unterschätzt mich, Mädchen. Du wirst meiner Beobachtung nie entgehen. Bilde dir bloß nicht ein, dass du mich betrügen kannst. Wo ist das Amulett? Was hast du damit gemacht?«
    Plötzlich begriff ich. Das Amulett – ein Schutzzauber, hatte sie mir gesagt. Dumm wie ich war, hatte ich ihr das geglaubt. Sobald ich es abgelegt hatte, war ich wieder ich selbst geworden. Und nun war sie hier, schäumend vor Wut, so übervoll vor zerstörerischer Magie, dass ihre Fingerspitzen knisterten. Ich wählte meine Worte sehr sorgfältig. »Die Schnur ist gerissen. Ich habe das Amulett weggelegt, damit es nicht verloren geht. Morgen Früh werde ich eine neue Schnur finden und es wieder tragen. Ich habe nicht vergessen, was du mir gesagt hast.«
    »Zeig es mir.«
    Ich ging zu der Holztruhe, schloss sie auf und begann methodisch, gefaltete Kleidung, meine Haarbürste und andere kleine Gegenstände herauszuholen. Meine Hände zitterten. Ganz unten lag das Amulett, und als ich meine Finger darum schloss, begegneten sie noch etwas anderem, einem winzigen Gegenstand, den ich lange vergessen hatte, der Jahr um Jahr unbemerkt hier gelegen und vielleicht auf diese Berührung gewartet hatte. Es war wie ein Stich ins Herz. Damit du mich nicht vergisst, sagte eine Stimme tief in meiner Erinnerung.
    »Nun? Hast du es? Zeig es mir!«
    Ich streckte die Hand aus, das Amulett auf der Handfläche. Sie schnaubte.
    »Also gut. Morgen. Sofort, nachdem du aufgestanden bist. Wenn du dieses Amulett noch einmal entfernst, bringst du dich selbst und unsere Unternehmung in größte Gefahr. Entferne es, und du verlierst deinen letzten Schutz gegen diese Leute. Und sie sind stark. Hast du mich verstanden, Fainne?«
    »Ja, Großmutter.« Ich

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