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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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verstand sie gut genug, wenn auch etwas zu spät. Wenn ich ihren kleinen Anhänger nicht trug, gab es keinen Zauber, der mich ihrem Willen unterwarf, und wenn sie es merkte, würde sie rasch wieder an meiner Seite sein und mich und meinen Vater bestrafen. Das Amulett sollte mich nicht schützen, sondern es diente dazu, mich ihrem Willen gefügig zu machen. Kein Wunder, dass ich manchmal das Gefühl gehabt hatte, dass meine Gedanken nicht meine eigenen waren. Kein Wunder, dass ich mich so gehasst hatte.
    »Also gut, Fainne. Ich frage mich, ob du wohl vergessen hast warum du hier bist.«
    »Nein, Großmutter. Aber –«
    »Aber?« Die Drohung in diesem einzelnen Wort ließ mich beinahe erstarren. Ich holte tief Luft, dann noch einmal, und sagte zu mir selbst: Feuerkind. Finde deine Kraft. Feuerkind.
    »Ich bin nicht sicher, ob ich wirklich tun kann, was du willst, Großmutter. Ich habe – ich habe –«
    In diesem Augenblick spürte ich einen durchdringenden Schmerz in meiner rechten Schläfe, einen Schmerz, der mich in die Knie brechen ließ, und dann übergab ich mich so lange, bis nur noch widerlich schmeckende Galle von meinem Kinn tropfte, denn mein Magen war von dem Fastentag ohnehin leer gewesen.
    »Ich – ich –«
    »Was wolltest du sagen, Fainne?«, fragte sie zuckersüß.
    »Ich – hör mich zumindest an! Du kannst mich doch wenigstens ausreden lassen, bevor du mich für meine Worte bestrafst.«
    »Ich kann dich wenigstens ausreden lassen? Ach ja? Wann wirst du begreifen, dass ich tun kann, was ich will? Ich kann alles tun, was ich will!«
    »Alles, außer den Dingen, die mit höherer Magie zusammenhängen?«, flüsterte ich. »Alles, außer die Zurückhaltung anwenden, die mein Vater beherrscht? Das ist nicht unbedingt alles.«
    »Wie kannst du es wagen, mir zu trotzen? Wie kannst du es wagen, mir zu widersprechen?«
    Wieder heftigster Schmerz, diesmal an der linken Seite. Ich hockte vor ihr, die Hände am Kopf, und die Welt drehte sich vor meinen fest geschlossenen Augen.
    »Es ist falsch.« Meine Stimme war wie ein dünner Faden, aber Vater hatte mich gut unterrichtet. Durch all den Schmerz, der meinen Schädel durchdrang, fand ich immer noch die Worte. »Was du willst, ist falsch. Der Wald. Die Inseln. Du hast das falsch verstanden. Der Kampf muss gewonnen, nicht verloren werden. Die Inseln müssen gerettet, nicht weggeworfen werden. Ohne das kann keiner von uns überleben. Ich kann es einfach nicht tun, Großmutter. Nicht für dich, nicht für Vater … für niemanden.«
    »Steh auf.«
    Ich glaubte nicht, dass meine Beine mich tragen würden; die Schmerzen ließen langsam nach, aber mein ganzer Körper war schweißnass und mein Magen brannte. Ich stand mühsam auf.
    »Sieh mich an, Fainne.«
    Ich zwang mich, ihr in die Augen zu sehen, die so finster waren, und sie starrte mich an, als wollte sie die tiefsten Geheimnisse meines Herzens ergründen.
    »Sie haben dir das gesagt. Du hast mit ihnen gesprochen. Wer von ihnen war es denn? Die Frau mit dem blauen Umhang und der honigsüßen Stimme? Die, die man nie wirklich genau sieht, immer flüchtig am Rand zwischen Licht und Dunkel? War es das Mädchen mit den schimmernden Locken und der Gestalt aus Schaum und Gischt oder der Flammenhaarige mit seiner herrischen Art und seinen kleinen Spielchen? Wer war es? Du darfst nicht auf sie hören; sie sind die Feinde unserer Art. Unser Ziel besteht darin zu verhindern, dass sie erreichen, was sie wollen, und nicht, ihnen zu helfen.«
    »Ich glaube, du irrst dich. Und ich kann es nicht tun. Such dir ein anderes Werkzeug. Da du solche Macht hast, dass du von einem Augenblick zum anderen hier an meiner Seite auftauchen kannst, warum vollendest du die Aufgabe nicht selbst? Verglichen mit dir bin ich nichts. Du bist nicht mit mir zufrieden, das hast du klar gemacht. Dann nimm doch die Zerstörung selbst vor, wenn du unbedingt willst. Nimm Rache, wenn du willst, aber tu es selbst.«
    Sie starrte mich Unheil verkündend an, die Brauen spöttisch hochgezogen.
    »Du bist wirklich manchmal sehr albern. Es gibt eine richtige Art, wie das hier geschehen muss, und eine falsche. Es muss sich richtig entfalten. Es muss der Prophezeiung entsprechend verlaufen, bis zum letzten Punkt. Warum, glaubst du, habe ich dich nicht gebeten, ihre Anführer zu töten oder dem Feind ihre Geheimnisse zu verraten? Warum, glaubst du, habe ich dich so lange dir selbst überlassen? Ich möchte, dass du dich in ihr Leben und in ihre Herzen

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