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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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diese Schwäche wahrnahmen. Aber er verriet sich in kleinen Berührungen, in kurzen Blicken. Es war klar, dass sie es nicht ertragen konnten, lange voneinander getrennt zu sein. Stets fragte er sie ernsthaft nach ihrer Meinung, stets behandelte er sie wie eine Gleichgestellte, die er immer befragen und respektieren musste. Ich mochte ihn nicht sonderlich, aber das gefiel mir.
    Es gab hier einen inneren Kreis, eine Gruppe älterer Männer, die bei Beratungen und bei Entscheidungen wohl die wichtigsten Stimmen abgaben und sich um die Hauptaspekte des Unternehmens kümmerten. Bran selbst war hier nur selten zu Besuch; sein Landsitz in Harrowfield brauchte seine Aufmerksamkeit, und er und Liadan verbrachten den größten Teil ihrer Zeit auf ihrem Landsitz in Northumbria. Es waren diese anderen, angeführt von Johnny, die auf Inis Eala die meiste Arbeit leisteten. Was diese Gruppe gemeinsam hatte, waren ihre seltsamen Namen, die keine gewöhnlichen Männernamen waren, sondern Bezeichnungen für Tiere. Außer Möwe, dem Heiler, und Schlange, der sich um Angelegenheiten der Kriegskunst kümmerte, gab es noch Krieger mit Namen wie Spinne, Ratte und Wolf. Die jüngeren Männer folgten diesem Brauch nicht, aber ihre Namen wiesen auf ihre unterschiedliche Herkunft hin: Corentin, Sigurd und Waerfrith, Mikka, Gareth und Godric. Schließlich fragte ich Biddy, und sie erklärte mir, dass in den alten Tagen, als der Hauptmann seine erste Truppe zusammengesucht hatte, alle, die sich ihm anschlossen, ihre alten Namen abgelegt und eine neue Identität angenommen hatten. Ihre Tiernamen erzählten nichts von ihrem Ursprung oder ihrer Geschichte, nur von den Qualitäten des Mannes, der Treue eines Hundes vielleicht oder der Fähigkeit einer Möwe, weit zu reisen und klar zu sehen. Mit diesem Namen bekamen sie auch ihr Zeichen: das Muster der Haut, das gleichzeitig Zeichen von Zugehörigkeit und leidenschaftlicher Individualität war. Nun, da sie sich sozusagen niedergelassen hatten, bestand keine Notwendigkeit mehr für solche Namen, aber selbst die Jüngsten hatten noch die Zeichen. An den Namen erkannte man, welche Männer von Anfang an zur Truppe gehört hatten. Man wusste durch die Zeichen auf der Haut, wer sich als würdig erwiesen hatte. Alle gehorchten Johnny; seine Jugend stellte kein Hindernis für seine Autorität dar.
    Es gab hier durchaus Arbeit für mich; ich konnte zum Beispiel Schreiberdienste leisten. Ich demonstrierte meine Fähigkeiten, und man wies mir Aufgaben zu. Selbstverständlich nichts, was Strategien und Kriegsangelegenheiten anging. Nichts, was mit dem Feldzug des Sommers oder anderen geheimen Dingen zu tun hatte. Darum kümmerten sich der Priester und der Druide. Man ließ mich auch keine Karten kopieren, obwohl Land- und Seekarten von dem inneren Kreis häufig benutzt wurden. Dennoch, es gab immer noch Bücher zu kopieren, Briefe über Haushaltsangelegenheiten zu schreiben und Vorratslisten zu führen. Die Buchführung war eine ermüdende Arbeit, aber für mich so leicht, dass ich sie ohne große Anstrengung erledigen konnte und immer noch für meine Genauigkeit gelobt wurde. Man stellte mir Fragen, wer mich so gut unterrichtet hatte, und ich sagte ihnen, es sei ein Druide gewesen, und versuchte nicht an Vater zu denken.
    Und weil ich so dumm gewesen war, Kinder zu erwähnen, war ich von nun an für meinen Vetter Coll zuständig. Das war Johnnys Idee gewesen, nicht die seiner Mutter. Vielleicht, dachte ich grimmig, war es eine Art Prüfung. Ich bemerkte schnell genug, dass kleine Jungen etwas anderes waren als kleine Mädchen. Man konnte von ihnen nicht erwarten, dass sie sich die Geschichten anhörten, die ich in meinem Repertoire hatte, und natürlich nähten und sticken sie auch nicht und beschäftigten sich nicht mit Puppen. Tatsächlich hatte ich als Kind auch nichts von diesen Dingen getan. Riona war immer weniger ein Spielzeug als eine Begleiterin bei meinen Abenteuern gewesen. Es war Winter, und Coll war ruhelos. Er war zu jung, um sich mit der Kriegskunst zu beschäftigen, und er brachte nur ungern genügend Konzentration auf, um mit einer Wachstafel und einem Griffel schreiben zu üben. Er hielt Steinspiele für langweilig, er spielte nicht Flöte. Stattdessen schlenderte er immer wieder zu dem verschlossenen Fenster, spähte durch die Ritzen in den Schneesturm nach draußen und seufzte tief. Ich sah, wie sehr er sich nach dem Sommer sehnte, und spürte ein Echo dieser Empfindung in meinem eigenen

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