Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
Vom Netzwerk:
Augen geschlossen wie junge Leute, die gerade zum ersten Mal die Liebe entdecken. Er hatte die Hände in der dunklen Seide ihres Haars vergraben, das nun nicht mehr geflochten war, sondern ihr lose über Schultern und Rücken fiel. Ihre Stirn ruhte an seinem Hals. Ich war nicht ganz sicher, ob einer von ihnen irgendetwas außer dieser Berührung bemerkte, außer dem Schlagen von Herz an Herz. Ich konnte den Blick nicht von ihnen losreißen, und das lag nicht nur an dem komplizierten Muster, das den Körper dieses Mannes offenbar auf einer Seite bedeckte, so verblüffend es auch sein mochte. Ich hätte nie geglaubt, dass Männer und Frauen von fünfunddreißig oder gar älter immer noch so füreinander empfinden konnten, dass es alles andere aus ihren Gedanken vertrieb. Ich hatte Liebe für Fantasie gehalten, für eine jugendliche Verirrung, die Leidenschaft, die meinen Vater und meine Mutter vernichtet hatte, oder das Erröten und die niedergeschlagenen Blicke von Muirrin und ihrem jungen Mann – etwas, das die Eheschließung und den Verlust der jugendlichen Ansehnlichkeit nicht lange überleben würde und endgültig verschwand, wenn die Sorgen des Alltags immer größer wurden. Also starrte ich diese beiden an und wusste tief im Herzen, was ich dort sah, war ebenso wunderbar und dauerhaft, wie es vollkommen unerwartet war. Es erfüllte mich mit seltsamer, durchdringender Trauer.
    »Er begrüßt sie nicht, wenn andere dabei sind«, sagte Biddy leise. »Der nicht.« Und dann streckte sie die Hand aus und schloss die Tür, damit niemand die beiden mit ihren neugierigen Blicken stören würde. Ich lief rot an. »Schon gut, Mädchen«, fügte sie freundlich hinzu. »Und jetzt ein Schluck Bier? Ein wenig Suppe? Und dann suchen wir dir irgendwo ein Bett. Gibt es etwas, das du besonders gut kannst? Flicken? Kochen? Hier gibt es Arbeit für alle.«
    »Ich – nun ja, es heißt, ich könnte gut mit Kindern umgehen«, klammerte ich mich an Strohhalme. Diese Leute hier schienen alle ausgesprochen kompetent zu sein, so wie Liadan und ihre Söhne. Ich überlegte, was ich sonst noch tun könnte. Ich konnte ihr ja wohl kaum sagen, dass ich ihr mit meiner Magie helfen konnte, das Küchenfeuer zu entzünden oder Steine zu einem schönen neuen Vorratsschuppen zu formen. »Ich kann auch ein wenig Lesen und Schreiben. Und ich kann angeln.«
    »Tatsächlich?« Biddy grinste. »Mit so viel Begabung wirst du hier nicht lange brauchen, um einen Mann zu finden. Ich habe selbst außer Evan noch zwei erwachsene Söhne. Sie sind beide Schmiede, schöne, kräftige Burschen. Ich wette, es wird einigen Wettbewerb geben, wenn so ein hübsches Ding wie du hier auftaucht. Kein Grund, rot zu werden! Trink dein Bier, Mädchen. Hier bist du in Sicherheit. Wir haben hier feste Regeln, und die Leute halten sich daran. Die Jungs beten den Boden unter Johnnys Füßen an. Keiner von ihnen hier würde seinen Platz auf der Insel aufs Spiel setzen, nicht für das hübscheste Mädchen der Welt.«
    Es war eine andere Art von Leben. Die Leute dachten vielleicht, ich würde mich unbehaglich fühlen und es fiele mir schwer, mich an diesem kargen Ort mit seinem beißenden Wind, seinen gefährlichen Klippen und seiner Abgelegenheit einzufügen, gar nicht zu reden von den mysteriösen Aktivitäten der Männer. Aber dann wussten sie wenig davon, wie ich aufgewachsen war. Es mochte das andere Ende des Landes sein, aber in vielerlei Hinsicht war Inis Eala wie zu Hause. Hier schloss keine Walddecke das Licht aus. Ich erwachte in der kleinen Hütte, die ich mit drei anderen unverheirateten Mädchen teilte, zum Geräusch der Meereswellen. Ich hatte meine eigene Ecke. Die anderen fanden schon bald heraus, dass ich gern für mich allein war. Und außerdem gab es immer etwas zu tun. Ein Mädchen half Biddy beim Kochen, ein anderes schien alles zu können, ob es nun darum ging, Hühner zu schlachten und zu rupfen oder Muscheln mit einem großen Messer von den Felsen zu kratzen. Das dritte Mädchen, Brenna, fiederte Pfeile. Ich hatte wohl überrascht die Brauen hochgezogen; sie erklärte mit ruhigem Stolz, es sei das Handwerk ihres Vaters gewesen, und als er starb, hatte sie es sozusagen übernommen. Nun war sie die Beste in Ulster. Wäre das nicht der Fall gewesen, dann hätte sie kaum auf der Insel bleiben können. Auf Inis Eala arbeitete man nur mit den besten Waffen.
    Einiges geschah auf der Insel ganz offen. Es gab eine Bäckerei und eine Schmiede, es gab eine Stelle

Weitere Kostenlose Bücher