Das Kind der Stürme
überwiegend in der Küche, wo sie Biddy hin und wieder vor die Füße geriet. Sie war das seltsamste Geschöpf, das ich je gesehen hatte, sie hatte einen kleinen Stummel, wo der Schwanz hätte sein sollen, und hüpfende Bewegungen, die denen eines Kaninchens nicht unähnlich waren. Coll erzählte mir, sie käme von Manannáns Insel, wo alle Katzen schwanzlos waren. Als ich ungläubig die Brauen hochzog, erklärte er, dass doch jeder die Geschichte kennen musste. Das mit den Katzen war die Schuld der Finn-ghaill und ihrer Vorliebe für kunstvoll verzierten Kopfschmuck. Es war einmal in Mode gewesen, einen Katzenschwanz als Helmbusch zu benutzen, weiß oder grau oder rötlich. Und inzwischen wimmelte es an den Ufern von Manannáns Insel von Wikingersiedlungen. Also bissen die Katzenmütter ihren Jungen die Schwänze ab, sobald sie zur Welt kamen, um zu verhindern, dass man sie später grausam umbrachte. Es war eine interessante Geschichte und nicht weniger glaubwürdig als einige meiner eigenen.
Von Coll einmal abgesehen, hielten sich die Mitglieder meiner Familie von mir fern. Bran war kein Mann, mit dem man leicht Freundschaft schließen konnte, und ich war froh, dass er seine Aufmerksamkeit mir gegenüber auf ein Grußwort hier und da oder auf ein Nicken beschränkte, wenn wir uns begegneten. Johnny war am freundlichsten. Er hatte immer ein Lächeln oder ein freundliches Wort für mich und neckte seinen kleinen Bruder, weil er das hübscheste Mädchen auf der Insel ganz für sich allein vereinnahmen konnte. Die Bemerkung über mein Aussehen zeigte nur, wie wenige Mädchen es hier gab. Johnny hatte nie wieder erwähnt, was auf der Reise nach Norden zwischen uns vorgefallen war, und ich ebenso wenig. Ich wusste nicht, ob er immer noch glaubte, dass ich den Zauber über ihn verhängt hatte. Sein Bruder Cormack war so intensiv in die Arbeit im Übungshof und der Waffenschmiede verwickelt, dass er keine Zeit hatte, mit mir zu reden. Es hieß, er sei im Zweikampf so gut wie sein Vater, und dabei war er erst vierzehn.
Und dann war da Liadan. Ich erinnerte mich, dass sie einmal gesagt hatte, sie hätte so gern eine Tochter gehabt, und ich spürte, dass sie vielleicht gerne mit mir gesprochen hätte, vielleicht über meine Mutter und ihre Jugend. Aber Liadan war nervös. Ich nahm an, sie zählte die Tage bis zum Sommer ebenso wie ich, aber ihr bleiches Gesicht war ernst und ihre grünen Augen betrübt. Wenn die Männer in die Zukunft schauten, sahen sie dort nur Herausforderung, Konflikt und Sieg. Liadan, so nahm ich an, erwartete einen Sommer, der auch Blut und Trauer bringen würde, wie man ihr einmal prophezeit hatte. Sie hatte Angst um sie alle, aber besonders um Johnny. Sie beobachtete mit besorgtem Blick, was auf der Insel geschah. Sie stellte mir keine unbehaglichen Fragen, denn sie wusste vielleicht, dass sie keine Antworten erhalten würde, aber sie ließ zu, dass ich mich mit ihrem kleinen Sohn anfreundete. Es war seine Gegenwart, lebhaft, neugierig, unkompliziert, die mir gestattete, einigermaßen bei Verstand durch den Winter zu kommen. Das und Großmutters Schweigen.
Die Jahreszeit endete mit Regen und Stürmen und kalten Nächten, und je näher der Frühling kam, desto deutlicher wurde meine Aufgabe in meinem Geist. Um Großmutter zufrieden zu stellen, musste ich im letzten Augenblick auf dem Schlachtfeld anwesend sein, zu dem Zeitpunkt, wenn die Verbündeten kurz davor standen, ihren Feind zu besiegen. Dann erwartete sie von mir, dass ich tat, was immer notwendig war, um dafür zu sorgen, dass die Verbündeten nicht siegten. Ich nahm an, dass es möglich sein würde, eine Armee in Kröten zu verwandeln, obwohl der Einsatz von Magie in solch gewaltigem Maßstab wahrscheinlich über meine Kräfte hinausgehen würde. Oder man konnte es auf einfache Weise tun, wie sie vorgeschlagen hatte: Man konnte das Kind der Prophezeiung töten. Ohne Johnny war das Unternehmen zum Scheitern verurteilt, selbst wenn er erst direkt vor dem Sieg umkäme. Eine Prophezeiung war eben eine Prophezeiung, und alles hing von ihren Bedingungen ab. Wieso sonst sollte es Johnny sein, der diesen Feldzug anführte, und nicht Sean von Sevenwaters oder einer der Uí Néill oder tatsächlich Bran von Harrowfield, der genau die Art Mann zu sein schien, der nie in seinem Leben einen Kampf verloren hatte? Warum nicht ein wohlhabender, einflussreicher Mann wie Eamonn von Glencarnagh? Aber hier ging es nicht um einen gewöhnlichen Feldzug, nicht
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