Das Kind der Stürme
und ich verstehe Liadans Befürchtungen. Wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich mich einmal der Frage zuwenden, warum Lady Oonagh so viel Wert darauf legt, dich unter Kontrolle zu haben. Und ich würde annehmen, dass dieser Zauber nicht nur ein Fenster dorthin darstellt, wo du dich aufhältst, sondern auch deine Fähigkeiten einschränken soll. Nur auf diese Weise kann sie deine Kraft kontrollieren, deine Kraft, die auf die von Ciarán und ihrer eigenen aufbaut, und außerdem auf einen ganzen Stammbaum von Völkern: Menschen, Feenvolk und Fomhóire. Sie benutzt diesen Zauber, um dich zu schwächen, denn sie weiß, dass du in der Lage wärst, sie zu besiegen.«
»Was?«
»Das ist nur eine Theorie. Aber denke einmal darüber nach. Wenn du das Amulett abnimmst, siehst du sofort deinen Weg klar vor Augen; du bist wieder du selbst, Ciaráns Tochter, ein Kind von Sevenwaters, stark und ehrlich. Und sofort eilt sie heran, bevor du ihrer Herrschaft für immer entgleitest. Sie verhält sich so, weil sie schreckliche Angst vor dem hat, was du tun könntest. Sie hat mich einmal ihren alten Feind genannt, und ich habe mich gefragt, was das bedeutete. Ich glaube heute, dass sie in meinen Augen, noch während sie mich veränderte, das Aufblitzen meiner jugendlichen Ideale sah: Gerechtigkeit, Mut, Integrität. Vielleicht sieht sie ihren alten Feind in dir wiedergeboren. Ganz bestimmt erkennt sie deine Kraft und plant, sie zu ihrem eigenen Zweck zu nutzen. Aber sie wandelt auf einem gefährlichen Pfad, denn du verfügst über einiges, was ich nie hatte: die Weisheit der Druiden, das Handwerk der Zauberer, das Blut von vier Völkern. Ihr Verhalten zeigt, dass sie sich dessen bewusst ist und es mehr als alles andere fürchtet.«
Ich berührte staunend das Amulett und spürte, wie meine Mundwinkel in einem zögernden Lächeln zuckten.
»Glaubst du das wirklich? Sagst du das nicht nur, damit es mir besser geht?«
Sein Lachen hallte vom Gewölbe der Höhle wider und verblüffte mich. Sofort war er wieder ernst. »Nein, Kind. Dies sind große, gewichtige Dinge; verzweifelte Dinge. Es erscheint mir grausam, dass eine solche Last auf so zerbrechlichen Schultern ruhen soll; aber du verfügst über innere Kraft. Auch Johnny ist auf seine Weise stark.« Er seufzte. »Liadan fürchtet um das Leben des Jungen, und sie hat Recht. Aber nicht du bist es, die sie fürchten sollte; es ist sein eigener Mangel an Bereitschaft für die Aufgabe, die er übernehmen muss.«
»Er scheint ein guter Mann zu sein«, sagte ich zögernd, denn ich begriff nicht, was er meinte. »Als Anführer ist er weise und über seine Jahre hinaus mutig und gelassen. Er begreift zumindest, dass er mehr tun muss, als seine Armee zu einem Sieg zu führen. Aber – aber es macht ihn gleichzeitig auch traurig.«
Finbar nickte. »Weißt du, was es ist, was er tun muss? Begreifst du, was für eine Rolle die Prophezeiung für ihn vorsieht?«, fragte er mich.
»Ich habe gehört – man hat mir gesagt – die Prophezeiung erwähnte eine Art Wächter, einen Hüter. Der Wächter auf der Nadel. Damals kam es mir seltsam vor. Aber es gibt eine Insel, die die Nadel heißt. Und – und sie sagten, dass die alten Wege in Vergessenheit geraten würden. Dass die Weisheit der Erde, des Ozeans, der Sonne und des Mondes für immer verloren gingen, solange nicht Wache gehalten würde. Ist es das, was Johnny auf irgendeine Weise tun soll?«
Finbar starrte mich verblüfft an. »Ich sehe«, sagte er bedächtig, »dass außer Lady Oonagh noch andere deine Schritte geführt haben. Wer hat dir diese Dinge enthüllt? Das Feenvolk selbst?«
»Nein«, sagte ich leise. »Kleinere, ältere Geschöpfe; Geschöpfe von Erde und Wasser, Fomhóire. Sie haben über mich gewacht, seit ich die Gelegenheit hatte, einem von ihnen zu helfen, indem ich meine Fähigkeiten benutzte. Aber sie sind nicht mit mir hierher gekommen.«
»Ich denke, sie sind überall«, sagte Finbar. »Aber sie zeigen sich nicht so einfach. Das ist wirklich wunderbar.«
»Du hast den Blick. Sag es mir. Liadan sagt, sie hätte Johnny und mich gesehen, ganz am Ende. Was hast du gesehen? Was wird uns zustoßen?«
Aber der Mann mit dem Schwanenflügel schüttelte nur den Kopf. »Das kann ich dir nicht sagen«, erklärte er. »Ich denke, es ist deine Sache, den Weg zu finden und Visionen wahr werden zu lassen.«
»Hell und klar«, sagte ich leise.
»Du solltest dich ausruhen«, erklärte Finbar. »Es ist schon spät, und dir
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