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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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Welt der Menschen hinausgehen«, sagte er leise. »Eine solche Verunstaltung bringt nicht nur unwillkommene Aufmerksamkeit, sondern Verachtung und Spott mit sich; vielleicht einen Platz irgendwo auf dem Jahrmarkt, wo die Leute mich anstarren und ihre Kinder fauliges Obst werfen lassen. Ich wäre ein Mühlstein am Hals meiner Familie, ich würde alle nur in Verlegenheit bringen. Hier kann ich das, was ich weiß, mit einigen Wenigen teilen, und ich kann den meisten anderen Menschen aus dem Weg gehen. Das ist besser so.«
    »Unsinn!«, sagte ich scharf. »Was du als Verunstaltung bezeichnest, ist ein Ehrenzeichen. Es ist ein Zeichen deiner Kraft und deines Durchhaltevermögens. Und es zeigt, dass du auserwählt wurdest, große Dinge zu tun. Wenn du die Träume dieses Jungen, der du einmal warst, sterben lässt, wenn du vergisst, was du einmal warst, dann hat meine Großmutter tatsächlich über ihren alten Feind triumphiert. Hier verbirgst du dich nur vor dem Leben. Und dennoch sagst du mir, ich sollte hinausgehen und die Vision selbst verwirklichen. Was ist mit deiner Vision? Wir gehören derselben Familie an. Wir haben doch sicher alle einen Anteil daran.«
    Er schwieg lange. Dann schaute er mich an, und mir fiel jetzt erst so richtig auf, wie dünn er war, beinahe geisterhaft. Unter seiner bleichen Gesichtshaut zeichneten sich die Knochen deutlich ab. Seine seltsamen, hellen Augen waren von dunklen Schatten umgeben, und sein schwarzes Haar war verfilzt und wirr, als hätte er nie daran gedacht, sich darum zu kümmern.
    »Ich bin ein alter Mann«, sagte er schließlich.
    »Vielleicht den Jahren nach. Du siehst nicht danach aus. Tatsächlich scheinst du nicht älter als Onkel Sean zu sein. Du hast vor, schon in deinen besten Jahren dahinzuschwinden. Eine schreckliche Verschwendung.«
    Er gab mir keine Antwort. Ich hatte ihn zweifellos verärgert. Meine Worte waren wohl kaum der angemessene Dank für seine Geduld und sein Verständnis. Ich versuchte gerade, eine Entschuldigung zu formulieren, als ich draußen eine vertraute Stimme hörte.
    »Fainne! Fainne, wo bist du?«
    Ich verzog das Gesicht. »Warum mussten sie ausgerechnet ihn schicken?«, fauchte ich. Ich hatte mich so angestrengt, ihm aus dem Weg zu gehen, so sehr, und nun würde ich den ganzen Weg mit ihm zurückgehen müssen. »Ich hätte auch allein zurückkehren können«, knurrte ich.
    »Komm«, sagte Finbar ruhig. »Ich bringe dich zum Eingang. Wer ist er?«
    »Ein Freund«, schnaubte ich, als ich ihm durch den schattigen Tunnel folgte, der vom Morgenlicht noch kaum beleuchtet wurde. »Er ist mir nach Inis Eala gefolgt, und nun will er nicht wieder gehen. Und er muss gehen. Du weißt, warum.«
    Finbar sagte nichts dazu, aber nach einer Weile erklärte er: »Ich nehme an, er ist zu einem bestimmten Zweck hier. Und es könnte ohnehin bereits zu spät sein.«
    »Zu spät?«
    »Zu spät, um ihn zurückzuschicken.«
    Wir tauchten aus dem Tunnel auf in einen hellen, klaren Morgen. Lange, zerfetzte Streifen rosafarbener Wolken zogen sich über den Himmel, und die Vögel waren erwacht und hießen den neuen Tag begeistert willkommen. Und da saß Darragh und wartete auf mich, gekleidet in das praktische Grau, das Johnnys Männer bevorzugten. Zumindest, dachte ich grimmig, hat er noch nicht das Zeichen im Gesicht. Seine ehrlichen Augen, sein liebenswertes Lächeln – das alles war immer noch so wie früher.
    »Fainne! Du warst also in Sicherheit.« Seine Erleichterung war nicht zu überhören.
    »Selbstverständlich war ich das. Es war nicht notwendig, dass du hergekommen bist.«
    »Danke, dass du gekommen bist, junger Mann.« Finbar klang ein wenig ungelenk, als wäre er nicht an Fremde gewöhnt. »Ich bin Liadans Onkel. Ich kann dir versichern, dass deine Freundin hier in guten Händen war. Und nun geht ihr beiden am besten nach Hause und richtet dem kleinen Coll von mir aus, dass ich an ihn denke und erwarte, dass er mich besucht, sobald es ihm besser geht.«
    Darragh machte ein paar Schritte vorwärts und streckte die Hand zum Gruß aus, und Finbar, eindeutig verblüfft, ergriff sie.
    »Ich danke Euch, Herr«, sagte Darragh lächelnd. Er gönnte dem Schwanenflügel nicht einmal einen Blick; es war, als wäre es ein ganz normaler Körperteil. »Ich danke Euch, dass Ihr Euch um sie gekümmert habt. Sie hat nie richtig gelernt, auf sich aufzupassen.«
    Auf Finbars strengen Zügen lag ein Hauch eines Lächelns. »Du hast offenbar vor, das für sie zu tun«, stellte

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