Das Kind der Stürme
nicht«, sagte ich bedrückt, so versunken in meinem Kummer, dass ich kaum darüber nachdachte, wie seltsam es war, so mit einem Fremden zu sprechen. »Sie behaupten, ich hätte etwas Schlimmes getan. Ich war es nicht, aber sie wollen mir nicht glauben. Ich glaube nicht, dass sie sich im Augenblick dafür interessieren, wo ich bin.«
»Dennoch«, sagte der Mann, »wir sollten es ihnen lieber mitteilen. Dann kannst du ungestört hier bleiben, bis du dich wieder gefasst hast.«
»Es ihnen mitteilen?« Ich starrte ihn an. »Wie denn?« Und dann sah ich seine Augen: tief und farblos wie Licht auf stillem Wasser, Augen, die das Abbild der Augen meiner Cousine Sibeal waren. Er brauchte mir nicht mehr zu antworten.
Einige Zeit blieb ich auf den Steinen sitzen, trank Wasser und beobachtete, wie die Schatten im Laternenlicht an den Höhlenwänden tanzten. Der Teich war jetzt sehr still; das leise Plätschern, das ich zuvor gehört hatte, war verklungen. Es war ein Ort von großer Ruhe, ganz ähnlich wie die kleine Höhle unter der Honigwabe, ein Ort, an dem die Elemente einander begegnen. Es gelang mir, meinen Atem zu regulieren, und die Schmerzen in meinem Kopf ließen langsam nach.
»An diesem Ort sind Geheimnisse ganz sicher«, erklärte der Mann leise. »Er wird von älteren und stärkeren Kräften bewahrt, als dass die Zeit ihnen etwas anhaben könnte. Ich bin überrascht, dass sie dich nicht schon früher hergeschickt haben, denn du scheinst zutiefst verzweifelt zu sein.«
»Was willst du mir anbieten? Einen guten Rat? Ein aufmunterndes Gespräch? Ich habe einen Freund, der nur zu bereit ist, mir beides zu geben, und nicht begreift, dass ich es nicht brauche. Ich gehe meinen eigenen Weg. Warum sollte ich dir etwas erzählen?«
Er wartete einige Zeit, bevor er antwortete.
»Ich biete keinen Rat an. Manchmal sehe ich Dinge, und manchmal spreche ich darüber. Manchmal kommen Menschen zu Besuch und reden mit mir. Liadans Söhne kommen her. Sie selbst braucht das nicht.«
»Weil du im Geist mit ihr sprechen kannst?«
»Du hast diese Begabung nicht? Das überrascht mich.«
Ich runzelte die Stirn. »Es überrascht dich? Du scheinst zu wissen, wer ich bin. Hast du den Blick nicht von deinen Fomhóire-Ahnen geerbt? Meine Mutter hatte dieses Erbe nicht, und selbst mein Vater verfügt nicht über diese Fähigkeit. Unsere Fähigkeiten sind eingeschränkt. Das haben die Túatha Dé schon vor langem so bestimmt.«
Er zog die Brauen hoch. »Wer hat dir das erzählt?«
Ich antwortete nicht.
»Geheimnisse sind hier sicher. Alle Geheimnisse. Man hat dir nicht von mir erzählt. Also haben wir uns gegenseitig erschreckt. Ich heiße Finbar.«
»Ich heiße Fainne«, sagte ich steif. »Wie kann etwas hier in Sicherheit sein? So etwas wie Sicherheit gibt es nicht. Nicht, solange –«
»Nicht, solange du das da um deinen Hals trägst?« Ich sah, dass sich das Amulett bei meiner Flucht unter den Kleidern hervorgeschoben hatte und nun sichtbar auf dem Mieder meines Gewands lag. Ich hob die Hand in einem vergeblichen Versuch, es zu verbergen. Das Metall war vollkommen kalt.
»Ein mächtiger Zauber«, stellte Finbar fest. »Wenn du dich seinem Einfluss bisher widersetzen konntest, bist du tatsächlich die Tochter deines Vaters. Und ich erkenne die Schnur, an der es hängt.«
»Tatsächlich?« Dieser Mann steckte voller Überraschungen.
»O ja. Sie gehörte deiner Mutter, und Liadan hat sie für sie gemacht, als die Familie Niamh weggeschickt hat. Die Person, die dir dieses Amulett gegeben hat, hat dir bestimmt nicht auch die Schnur gegeben.«
»Nein. Ich habe die Schnur gewechselt. Und es kam mir so vor …«
»Ah ja.« Finbar nickte. »Eines arbeitet gegen das andere, so gut sie eben können. Du musst den starken Frauen in unserer Familie für dieses Zeichen der Verwandtschaft danken, denn es webt einen mächtigen Schutzzauber, Fainne. Es hat nichts mit der Art von Magie zu tun, wie deine Großmutter sie verwendet; es ist schlichter und reiner. Liadan hat Fasern von den Kleidungsstücken aller, die sich in Sevenwaters aufhielten, hineingeflochten. Sie hat versucht, Niamh so gut zu schützen wie sie konnte. Deine Mutter wurde von vielen geliebt, auch wenn du das vielleicht bezweifelst.«
Ich starrte ihn an und fand keine Worte.
»Das da ist ein Amulett von mächtigem negativen Einfluss«, erklärte er ernst. »Aber an diesem Ort hier kann es nicht die Wirkung haben, für die es geschaffen wurde. Warum nimmst du es nicht
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