Das Kind der Stürme
kannten sich mit diesen Dingen aus. Bis zum Abend würden alle in Sicherheit sein. Grün gekleidete Krieger hoben Eamonns Leiche hoch, kümmerten sich um den Speer. Männer aus Sevenwaters deckten Finbar mit einem weißen Tuch zu, das das Zeichen der beiden Ringe trug. Sean schaute hinüber zum Wachposten, wo Edwin von Northwoods wartend stand.
»Nur noch einen Augenblick«, sagte ich zu meinen Führern aus der Anderwelt; ich dachte, da dieser Abschied für immer sein wird, konnten sie mir wenigstens ein bisschen Zeit dazu lassen. Ich wandte mich meinem Onkel, dem Herrn von Sevenwaters, zu.
»Sag den Mädchen, ich werde sie nicht vergessen«, erklärte ich mit möglichst fester Stimme. »Sie haben mir beigebracht, was es bedeutet, eine Familie zu haben, und sie haben mich darüber hinaus viele andere Dinge gelehrt. Ich hoffe, ihr bereitet Eamonn einen guten Abschied, mit Lichtern und Musik und Ehre, denn obwohl er viele Fehler gemacht hat, ist er am Ende tapfer gestorben. Und sag Maeve – sag ihr, es tut mir Leid. Es tut mir sehr Leid.«
In Seans Augen stand Schmerz, aber auch ein gewisser Respekt. Er nickte und küsste mich auf eine und dann auf die andere Wange, aber er sagte kein Wort.
»Leb wohl, Onkel«, sagte ich zu Conor.
»Leb wohl, meine Liebe.« Seine Miene war sehr ernst. »Dies ist ein langer Abschied. Ich wünschte, ich könnte dir helfen. Du bist so jung für eine solche Aufgabe. So jung, und du hast noch dein ganzes Leben vor dir.«
»Ich denke, das zählt nicht«, flüsterte ich, und meine Tränen fingen wieder an zu fließen. »Warum soll ich es nicht tun – es sieht so aus, als wäre es alles, wozu ich gut bin.«
»Alles?«, wiederholte Conor. »Ein großes und wunderbares Alles, denke ich.« Er verstand es nicht. Keiner von ihnen verstand die hohle Leere in mir. Ich wandte mich Vater zu.
»Vater?«
Ciarán schaute auf mich herab, sein Gesicht sehr bleich, seine dunklen Augen immer noch wachsam. »Ich setze großes Vertrauen in dich, Tochter«, sagte er. »Das habe ich immer getan. Und ich bin sehr stolz auf dich. Ich liebe dich. Vergiss das nie.«
»Vater, wirst du jetzt zurückkehren? Nach Hause, nach Sevenwaters? Sie brauchen dich. Conor ist alt und müde. Es ist Zeit, die Familienbande wieder zu knüpfen und dass die Weisheit deiner eigenen Art im Wald erneuert wird. Und es gibt da ein kleines Mädchen, das eine große Mystikerin werden könnte, wenn du sie unterrichtest. Ich habe viel Schaden angerichtet, Vater, obwohl ich nur jene schützen wollte, die ich liebte. Ich wollte, dass du in Sicherheit bist und – und …«
Meine Worte verklangen.
»Du bist sehr stark gewesen; stark genug für uns alle. Ich werde darüber nachdenken.« Er warf einen Blick auf die weiß verhüllte Gestalt auf dem Boden nah unseren Füßen.
»Vielleicht ist es wirklich Zeit, dass diese Wunden heilen. Und nun lebe wohl, Tochter.« Er beugte sich vor und küsste mich auf die Stirn. »Möge die Hand der Göttin sanft auf dir ruhen; möge die Sonne deine Tage wärmen, möge der Mond deine Träume beleuchten.«
»Leb wohl, Vater. Du wirst immer in meinem Herzen sein.« Aber als das Feenvolk mich zum Ufer führte, wo ein langes, dunkles Boot auf dem Kies wartete, kam es mir vor, als wäre mein Herz jetzt leer, als wäre alles herausgewaschen, was es je enthalten hatte, und als könnte es nie wieder gefüllt werden. Es schien nicht zu zählen, was mir bevorstand, und wie einsam und gefährlich die Aufgabe war. Es schien unwichtig, was ich zurückließ. Das verstanden sie nicht, keiner von ihnen. Die Alten hatten Recht gehabt. Ich hatte meinen einzigen Schatz weggeworfen. Ich hatte nicht gewusst, wie viel ich zu verlieren hatte, bis es bereits verloren war.
Das Boot glitt vom Strand weg, ohne Segel oder Ruder und Besatzung, die es auf dem gefährlichen Weg zur Nadel geleitete. Hinter mir, am Ufer, stand das Feenvolk und sah ernst und schweigend zu. Ich umklammerte Riona fest, als wäre ich wieder ein kleines Kind, während das Boot sich immer schneller vom Land weg bewegte.
»Es war ungerecht«, flüsterte ich leidenschaftlich. »Darragh war ein so guter Mann; er hat nie etwas falsch gemacht, und sie hat ihn getötet, und es war alles wegen mir. Und Finbar ist wegen mir gestorben, weil ich ihn dazu gebracht habe, herzukommen. Niemand versteht das, niemand weiß es. Sie erwarten, dass ich mich wie eine Art Heldin fühle, als wäre ich auf dem Weg zu einem großen Ziel. Aber in mir ist nichts geblieben
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