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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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gerissen zwischen Entsetzen, Verstehen und aufkeimender Hoffnung.
    Aber ich war plötzlich müde, so müde, und wusste kaum, wie ich antworten sollte, und nun begann Großmutter abermals, sich gegen den Zauber zu wehren, und riss mit ihren knochigen Händen an den unsichtbaren Fesseln, die spitzen Zähne in schrecklichem Zorn gefletscht.
    »Nein!«, zischte sie, »das darf nicht sein!«
    »Ich denke doch«, sagte Vater leise und trat hinter mich, um mir die Hand auf die Schulter zu legen und mir seine eigene Kraft zu geben. »Du wirst feststellen, Mutter, dass es ein Fehler war, dein Wissen mit mir zu teilen und mich dann als deiner Aufmerksamkeit unwürdig abzutun. Als Druide bin auch ich dazu ausgebildet, Rätsel zu lösen und das, was ist, zu achten. Als Zauberer lernte ich, wie man spielt – und zwar stets, um zu siegen. Du hast geglaubt, meine Tochter zu deinem Werkzeug machen zu können, und indem du das tatest, hast du die Waffe zu deiner eigenen Vernichtung geschmiedet. In der Schmiede deiner Grausamkeit, mit all den Prüfungen der Willenskraft und des Durchhaltevermögens, denen du Fainne unterworfen hast, hast du selbst das Kind der Prophezeiung geschaffen und damit die Person, die dir die Macht nehmen wird. Ich habe sie so gut vorbereitet, wie ich konnte, aber du selbst hast sie bis zu absoluter Perfektion geschliffen.«
    »Kommt.« Plötzlich wurde es still, denn dies war eine andere Stimme, und die Männer wichen staunend zurück. Aus jeder Himmelsrichtung trat ein seltsames Wesen vor, alle größer als sterbliche Menschen und von gleißend hellem Licht umgeben, als wäre die Sonne abermals hier auf diesem kahlen Hügel aufgegangen. Das waren die Túatha Dé; sie hatten zugesehen und gewartet, bis der Zweikampf und die Debatte vorüber waren. Nun traten sie vor, die Mienen ernst, die Stimmen wie das Schimmern von klarem Wasser über Kies oder wie entferntes Donnergrollen.
    »Ich bin Deirdre vom Wald.« Eine Frau kam auf mich zu, die schlanke weiße Hand ausgestreckt. Ihr Haar fiel in einem Vorhang wie dunkle Seide über ihren Rücken, ihre Augen hatten das tiefe Blau des Himmels in der Abenddämmerung, eine Farbe, die von den fließenden Falten ihres Umhangs wieder aufgenommen wurde. »Die Zeit vergeht. Wir sind bereit.«
    »Komm, Feuerkind.« Es war ein Mann, der sprach – wenn ein so seltsames Geschöpf als Mann bezeichnet werden konnte. Sein Haar war vom hellsten Rot, so dass es aussah, als tanzten Flammen um seinen Kopf. Seine Augen schienen Funken zu sprühen, schalkhaft und gefährlich. »Deine Aufgabe wartet auf dich. Komm mit.«
    »Wir bringen dich dorthin.« Dieses Geschöpf hatte eine Stimme wie das Meer, sanft, aber mächtig, ein Klang wie die Wellen, die in die hallenden Kammern der Honigwabe spülten. »Das Meer wird dich tragen.« Ich hätte nicht sagen können, wie sie aussah, nur, dass sie ein Geschöpf des Wassers war, durchsichtig, aber wirklich, ein sich bewegendes, stets veränderndes Wesen mit verzweigtem Haar und wilden Augen und Händen und Füßen flüssig wie Ebbe und Flut in den Gezeitentümpeln.
    »Noch nicht!« Das war das vierte Wesen, und alle drehten sich um und sahen ihn an. Er war kaum mehr als eine Störung der Luft, der Hauch eines schimmernden Gewands, ein Glitzern von zwei Augen, das sofort wieder verschwand, das Haar wie Fäden aus winzigen Edelsteinen, die sich im Wind bewegten. »Das hier muss zu Ende gebracht werden. Geh vorwärts.«
    Es war ein Befehl, dem man sich nicht verweigern konnte; eine Stimme der Macht. Aber nicht zu mir wurden diese Worte gesprochen. Der Bann, den ich verhängt hatte, brach abrupt, aufgehoben von höherer Magie. Ich spürte Vaters Hände auf meiner Schulter, die mich fest packten, als Lady Oonagh auf mich zukam, ein wenig unsicher auf den Beinen, und ihre langen grauen Finger ausstreckte.
    »Ich werde dich vernichten!«, kreischte sie. Sie zitterte von Kopf bis Fuß, und ihr Blick allein hätte genügt, die stärkste Willenskraft erstarren zu lassen. »Ich werde dich Stück für Stück zerreißen, du kleiner Schwächling.«
    Rings um sie her standen die großen Herren und Damen der Túatha Dé schweigend. Vaters Hände waren stark und warm, und in der Berührung spürte ich seine Liebe. Conor rezitierte leise uralte Worte. Immer noch brannte der Flammenkreis und hielt jene zurück, die vielleicht dummerweise versucht hätten, sich mit Schwert oder Speer einzumischen.
    Ich spürte keine Angst, als ich sie näher kommen sah, obwohl

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