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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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vertrauen wir dir an.«
    »Aber –«, begann ich, denn eine sehr offensichtliche Frage kam mir in den Sinn.
    »Komm, wir zeigen es dir.«
    Wieder nahm die Herrin des Waldes meine Hände und führte mich zur Felswand, und nun sah ich, dass es dort eine Öffnung gab, einen klug verborgenen Schlitz, den jemand vielleicht für nichts weiter als eine Unregelmäßigkeit in der Oberfläche halten würde, vielleicht nur für einen Schatten.
    »Es gibt hier viel mehr, als das Auge zeigt«, erklärte sie ernst. »Diese Portale sind nicht leicht zu finden; daher bewachen wir das Wenige, das uns noch bleibt. Wenn du erst einmal drinnen bist, wirst du entdecken, dass dieses Reich größer ist, als du dir vorgestellt hättest.«
    »Wie der Geist hell brennt und manchmal zu groß scheint, um in der kleinen Hülse des Körpers zu weilen, so ist es auch mit diesem Ort«, sagte das Wasserwesen leise. »Die innere Welt ist weiter und komplizierter als die äußere, tiefer und verzweigter. Hier wirst du viele Dinge sehen; du wirst sehen, was einmal war, was ist und was sein könnte. Du wirst beobachten, und du wirst dich erinnern.«
    Es war, wie sie sagten. Der Schlitz im Felsen führte zu einem Gang und der Gang in eine Höhle, die viel höher und breiter war als das schmale Plateau draußen hätte vermuten lassen. Und es gab weitere Höhlen, die von dieser Hauptkammer weg führten, und durch Öffnungen entdeckte ich warmes, goldenes Lampenlicht, einen Platz zum Schlafen mit Kissen und weichem Leinen und eine Decke, die aussah wie der zottelige Pelz eines großen Tieres. Meine Augen wurden größer.
    »Sieh her, Fainne.«
    Der Sinn dieser Hauptkammer war mir sofort klar, da ich mit der Kenntnis der Mysterien und der Rituale aufgezogen worden war. In der Mitte befand sich eine breite, flache Bronzeschale, die nun leer war; daneben ein kunstvoller Krug aus dem gleichen Material auf einer Granitplatte. Über diesen Zeremonialgefäßen wölbte sich die Decke der Höhle hoch; und in der Mitte war eine Öffnung zum Himmel hin. Es kam mir so vor, als wäre dieses runde Loch in den Felsen sehr gezielt an dieser Stelle platziert, ebenso wie jeder stehende Stein in Kerry seine Position und seinen Zweck gehabt hatte. Diese Öffnung zeigte einen winzigen Fleck vom blauen Himmel, der im Augenblick wolkenlos war. Es war vielleicht Mittag, vielleicht ein wenig später. Heute Nacht würde ich aufblicken und einen Stern sehen oder tiefe, stille, samtige Dunkelheit. Zu bestimmten Jahreszeiten würde die Sonne durch den Stein fallen und das Wasser darunter mit lebendigem Feuer erfüllen. Dies war eine Höhle wie der Ort, den Finbar auf Inis Eala bewohnt hatte. Ein uralter Ort. Ein sicherer Ort. Die Göttin hielt ihre Hand darüber, ihr wiegender Körper erhielt ihn. Wenn die alten Wege in der Erinnerung eines einzigen menschlichen Geistes, dem Schlag eines einzigen menschlichen Herzens bewahrt werden sollten, dann war dies der geeignete Platz. Aber für wie lange? Ich öffnete den Mund, um die Frage zu stellen, und das Wasserwesen bewegte seine seltsame algengleiche Hand über der Bronzeschale, die sich daraufhin sofort mit klarem Wasser füllte. Ich schloss den Mund, ohne etwas gesagt zu haben. Jener, der mehr luftiges Licht war als Substanz, beugte sich vor und hauchte auf das Wasser, und die Oberfläche zeigte plötzlich eine Ansammlung winziger Bilder, hell wie Sommerblüten, die sich bewegten und in einem glitzernden, blendenden Muster veränderten.
    »Komm, Feuerkind«, sagte der mit dem Flammenhaar. »Wir werden es dir zeigen.«
    Die Herrin des Waldes griff nach meiner linken Hand und er nach meiner rechten, und zusammen schauten wir ins Wasser. Es gab so viel dort, zu viel, es war durcheinander und nur in Bruchstücken zu erkennen, und dennoch konnte ich in den komplizierten Bewegungen vertraute Dinge erkennen, die kurz aufblitzten und dann wieder verschwanden; ein Fisch, der auf dem Boden zappelte, Käfige, die sich öffneten, Tiere, die rasch flohen, ein Feuer, ein Mann, der das Gesicht schmerzerfüllt verzog. Ich kniff die Augen fest zu.
    »Ich weiß nicht, wie man mit dem Blick umgeht«, erklärte ich angespannt. »Ich kann das nicht gut. Wenn dies die Aufgabe ist, die ich erledigen soll, dann habt ihr euch die Falsche ausgesucht.«
    »Konzentriere dich«, sagte die Herrin.
    »Du wirst es schwierig finden, aber nicht, weil du zu wenige Fähigkeiten hast, sondern zu viele«, erklärte der Feurige. »Du musst dich auf eine bestimmte Zeit,

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