Das Kind der Stürme
hätte zweifeln können, dass er zu mir zurückkehren würde. War er nicht immer der treueste Freund gewesen?
»Es tut mir Leid«, flüsterte ich. »Es tut mir Leid, Darragh, oh, es tut mir so Leid, dass ich dir das angetan habe.«
Er blinzelte und drehte seinen Kopf hierhin und dahin, als wäre er nicht ganz sicher, was er war, Seehund oder Mann. Wenn man den Geschichten glauben konnte, würde er von nun an vielleicht nie mehr wirklich das eine oder andere sein. Er schauderte so heftig, dass es meinen eigenen Körper schüttelte, als ich ihn festhielt. Ich löste mein Schultertuch, wollte es ihm umlegen.
»Darragh, es tut mir so Leid«, sagte ich abermals durch die Strähnen von Freude und Schmerz.
Er kam vorsichtig auf die Beine. Sein Körper war im Mondlicht sehr bleich; bleich und nackt und sehr, sehr schön. Ich schluckte.
»Es ist möglich, hier zu leben«, fuhr ich fort, denn ich sehnte mich danach, dass er sprach, aber ich fürchtete mich auch davor, denn ich hatte ihm mein Herz geöffnet, und nun begann ich mich zu fragen, ob das nicht sehr dumm gewesen war. Immerhin hatte er mir schon einmal den Rücken zugewandt, als ich mich danach sehnte, seine Berührung zu spüren.
»Es gibt Essen und Wasser und Zuflucht. Es ist nicht viel. Wir können diesen Ort nicht verlassen. Es tut mir Leid. Wegen mir hast du alles verloren, was du vielleicht hättest haben können.«
Darragh sah mich im Halbdunkel an. »Du hast immer gesagt, du k-könntest nicht singen«, stellte er mit klappernden Zähnen fest. »Aber ich würde dieses Lied gerne noch einmal hören. Es ist das schönste Lied, das ich je gehört habe, würdest du es m-mir noch einmal vorsingen, wenn ich dich bitte?«
Ich spürte, wie ich rot wurde. »Vielleicht«, sagte ich. »Aber jetzt müssen wir dich erst mal aufwärmen, bevor du dich zu Tode frierst.«
»Mir fiele da die eine oder andere Möglichkeit ein«, sagte Darragh und errötete tief bei diesen Worten. Er breitete die Arme aus, und ich umarmte ihn und störte mich nicht daran, dass er kein Hemd und keine Hose und keinen Fetzen am Leib trug. Ich spürte seinen stetigen Herzschlag an meinem Körper, solcher Balsam für den verwundeten Geist, dass ich glaubte, vor Glück sterben zu müssen.
»Darragh«, sagte ich, »es gibt hier nichts für dich. Nichts außer mir und den Seevögeln und dem Wetter. Es ist kein Leben für dich.« Aber die ganze Zeit klammerte ich mich an ihm fest. Ich begriff nun, dass es Dinge gab, die so kostbar waren, dass man sie nicht loslassen durfte.
»Ich habe nie mehr vom Leben gewollt als dich an meiner Seite und die Straße vor uns«, sagte Darragh. »Damit bin ich zufrieden.«
»Viel Straße gibt es hier nicht«, sagte ich und spürte, wie die Glut der Sehnsucht durch meinen Körper drang, spürte das Bedürfnis, ihm nahe zu sein, immer noch gewaltiger werden, beinahe überwältigend.
»Ein großes Abenteuer.« Darraghs Stimme war leise in meinem Haar. »Das ist es.« Wieder schauderte er, und ich zwang mich, ihn loszulassen. »Sag mir eins«, bat ich. »An diesem Abend auf Inis Eala, als du Dudelsack gespielt hast und ich traurig wurde, warum hast du dich von mir abgewandt? Warum wolltest du dich nicht mit einem Kuss oder einer Umarmung verabschieden? Ich dachte … ich dachte …«
»Dummes Mädchen«, sagte Darragh sanft. »Du hast es nicht bemerkt, wie? Du hast nicht gesehen, wie sehr ich dich liebte und mich nach dir sehnte, so dass ich mir selbst nicht mehr über den Weg trauen konnte, wenn ich dich noch einmal berührt hätte; so dass ich wusste, wenn ich noch einmal anfinge, würde ich nicht mehr aufhören können und vielleicht etwas tun, das dich für immer verschreckt hätte? So kann es einem Mann passieren, Löckchen, wenn er jemanden begehrt; genau wie jetzt« – er schaute an seinem nackten Körper herab und dann wieder nach oben – »sogar bei dieser Kälte, siehst du …« Er grinste verlegen.
»Dann komm«, sagte ich zitternd und streckte meine Hand aus. »Verschwenden wir keine Zeit mehr.«
Gemeinsam begannen wir mit dem langen Aufstieg zu Wärme und Zuflucht und zu einem neuen Leben. Denn es schien, dass sein Schicksal auch das meine war, und meines das seine, hier an diesem Ort, an dem sich Erde und Feuer, Luft und Wasser auf so hinreißende und geheimnisvolle Weise begegneten, sich wieder trennten und in ihrem ewigen Tanz erneut begegneten.
NACHWORT
In den Jahren nach dem großen Kampf um die Inseln entwickelten sich viele
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