Das Kind der Stürme
Bild verschwunden.
»Du wirst rasch lernen«, sagte die Herrin des Waldes, als ich blinzelte und mir die Augen rieb. »Du wirst lernen, diese Dinge im Geist und in der Seele zu bewahren, und dich an das zu erinnern, was kostbar ist. Du wirst die Überlieferung rezitieren, du wirst dich um die Rituale kümmern. Sonne und Mond werden dich anleiten, das Meer wird deine Festungsmauer sein, der lebende Stein deine sichere Zuflucht. Hüte das geheimnisvolle Band zwischen der Erde und dem Leben, das dort wächst, und ihre große Mutter wird dich erhalten.«
Ich fühlte mich ein wenig schwach und mehr als ein nur wenig erstaunt. Vielleicht waren meine Fragen ja überhaupt nicht wichtig. Die Aufgabe, die sie mir auferlegten, war eine äußerst wichtige, ich sollte mich für dieses Vertrauen geehrt fühlen. Aber ich fühlte überhaupt nicht viel, wenn man von der Leere im Herzen einmal absah und von den kalten Pfaden meiner Tränen.
»Willst du uns noch etwas fragen, bevor wir dich allein lassen?« Die Herrin des Waldes klang nun sanfter; dennoch, man konnte nicht vergessen, wer sie war. Diese Geschöpfe wussten nichts von menschlicher Liebe, für sie waren unsere kleinen Leben zweifellos unbedeutend.
»Ich habe mich gefragt …«, begann ich.
»Was denn, Kind?«
»Ich habe zwei Fragen. Ein Mensch braucht Wärme, Essen, Kleidung und die Möglichkeit, sich im Winter warm zu halten. Ich bin darauf vorbereitet, allein zu sein, das ist mir nichts Neues. Aber wie werde ich die Zeit finden, diesen Pflichten nachzukommen, die ihr von mir verlangt, wenn ich außerdem sehen muss, dass ich auf diesem Felsen überlebe? Ich weiß, wie man angelt, aber –«
Nun lachten die vier, hoch oder tief, und das Geräusch war wie Musik, die durch den Raum hallte.
»Man wird für dich sorgen«, sagte der Feurige. »Durch eine Tat von unerwarteter Freundlichkeit hast du seltsame und treue Freunde gewonnen. Die Alten werden dafür sorgen, dass alles für dich bereit steht, wie du es brauchst. Tatsächlich haben sie darauf bestanden, diese Pflicht übernehmen zu dürfen, seltsame Geschöpfe, die sie sind. Du wirst nicht … angeln müssen.« Wieder lachte er leise.
»Nun gut«, sagte ich, sah mich noch einmal um und fragte mich, wie viele Augen mich beobachteten. Die Alten konnten sich gut anpassen; man wusste nie, welcher Schattenhauch, welcher Haufen geborstener Steine sich vielleicht in ein lebendes, atmendes Geschöpf verwandeln würde. Zumindest würde ich Gesellschaft haben. »Und es gibt noch etwas, woran anscheinend keiner von euch gedacht hat«, erklärte ich. »Meine Großmutter sagte mir, dass die von unserer Art lange leben. Da wir euer eigenes Blut haben, leben wir länger als die normalen Menschen. Aber ich werde nicht ewig leben. Ich kann diese Geheimnisse wahren, bis ich eine faltige Alte bin wie Lady Oonagh. Aber irgendwann werde ich sterben und mit mir die Geheimnisse.«
Die flüssigen Augen des Wasserwesens wurden größer, seine blättrigen Brauen hoben sich. »O nein«, sagte es rasch. »Die Geheimnisse werden nicht mit dir sterben, so ist es nicht. Unsere Vision reicht viel weiter als das Leben eines einzelnen Hüters. Du wirst deiner Tochter diese Dinge beibringen, so dass sie nach dir Hüterin sein kann, und sie wird schließlich die Weisheit an ihr eigenes Kind weitergeben. Es wird lange, sehr lange dauern, bis dieses Wissen der Welt wieder bekannt gegeben werden kann. Aus diesem Grund verbergen wir die Inseln heute Nacht vor den Augen der Menschen. Eine große Welle wird sie überschwemmen, Nebel wird sich erheben und sie vor dem Blick verbergen. Die Reisenden werden vielleicht suchen, aber niemand wird diesen Ort wiederfinden.«
»Meine Tochter«, sagte ich tonlos. »Aha. Es könnte sein, dass ich mich irre, aber ich dachte, es brauchte ebenso einen Mann wie eine Frau, um ein Kind zu haben. Soll der Vater dieses Kindes eine Krabbe sein oder eine Möwe? Oder hattet ihr vor, dafür zu sorgen, dass ein Schiffbrüchiger vor meiner Tür angespült wird, damit ich ihn nutzen kann?«
Sie schwiegen plötzlich. Vielleicht war mir etwas entgangen. Die Túatha Dé beäugten mich ernst. Dann streckte der Feurige plötzlich die Hand aus und holte eine zerbrechliche Glaskugel aus dem Nichts, so schön und glitzernd wie ein Stern.
»Du kennst den Zauber«, sagte er. »Zeig es uns.«
Ich starrte sie verblüfft an, erschrocken über solche Grausamkeit. Ich verbiss mir die Worte, die sich mir auf die Lippen drängten.
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