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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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durchseihe. Danke. Er muss mitmachen. Das wollen sie alle. Es ist Vaters Aufgabe, sie davon abzuhalten, einander an die Kehle zu gehen, jedenfalls so lange, bis die Sache zu Ende ist. Es ist wohl ein bisschen, wie die älteste Schwester zu sein.«
    Ich hatte noch viel mehr Fragen, aber ich wusste, ich konnte jetzt nicht mehr sagen, ohne dass sie misstrauisch geworden wäre. Stattdessen beobachtete ich und lauschte, denn Vater hatte mich dazu ausgebildet, solche Rätsel zu lösen. Dieser Eamonn war ein verschlossenes Buch; schwierig und zurückhaltend. Er saß neben Tante Aisling am Mittagstisch und war beinahe auffällig still. Man hätte annehmen können, dass er nur deshalb nichts zum Gespräch beitrug, weil er sich so sehr dem guten Bier hingab, denn er saß da und trank den ganzen Abend lang, starrte ins Leere und aß wenig. Aber seine Augen verrieten ihn. Ich sah ihm an, dass er genau zuhörte und sich alles merkte, was ihm eines Tages nützen konnte. Und ich erwischte ihn immer wieder dabei, dass er mich beobachtete, als wäre ich das letzte Stück eines Puzzles und als hätte er noch nicht entschieden, was er mit mir anfangen wollte. Ich sah ihn unter meinen Wimpern her an. Sein Blick blieb stetig. Er ist es, dachte ich. Er ist es, den Großmutter mir als Ziel nennen würde. Finde einen einflussreichen Mann, Fainne. Eine Frau kann Wunder wirken, wenn sie einen solchen Mann zum Werkzeug hat. Schon der Gedanke entsetzte mich. Er bewirkte, dass sich mir der Magen beinahe umdrehte und ich eine Gänsehaut bekam.
    Einer nach dem anderen verabschiedeten sich die Verbündeten und verließen Sevenwaters mit bewaffneten Eskorten. Zu ihrem eigenen Schutz, hieß es immer, wenn Seans Männer in ihrer waldfarbenen Kleidung vor und hinter ihnen herritten, die Besucher streng bewacht in der Mitte. Wie konnte man Seite an Seite arbeiten und einen großen Feldzug planen, fragte ich Muirrin, wenn man einander nicht vertraute? Konnten sich solche Verbündete nicht plötzlich gegen einen wenden?
    »Ach, es geht nicht nur darum«, meinte Muirrin. »Es geht um den Wald. Der Wald kennt die Seinen. Andere können sich darin nicht sicher bewegen. Wege verändern sich. Wurzeln wachsen über den Weg. Stimmen führen Menschen in die Irre, und plötzlicher Nebel steigt auf.« Sie sprach davon, als wäre das eine ganz alltägliche Angelegenheit, aber ich spürte, wie sich mir die Nackenhaare sträubten.
    »Stimmen?«, fragte ich.
    »Nicht alle können sie hören«, sagte sie. »Aber der Wald ist sehr alt. Er wurde unserer Familie in uralter Zeit anvertraut. Wir sind seine Hüter. Wir dürfen nicht annehmen, dass wir die einzigen Bewohner dieses Waldes sind.«
    Ich nickte. »Ich habe die Geschichte gehört«, sagte ich vorsichtig. »Hat nicht einer eurer – unserer – Ahnen eine Frau von den Fomhóire geheiratet?«
    »So heißt es. Und von ihr kam auch das Geheimnis der Inseln. Das ist alles eng miteinander verbunden: die Inseln, der Wald, das Vertrauen, das das Feenvolk uns vor langer Zeit geschenkt hat. Wenn ein Teil versagt, versagt alles. Aber das weißt du vielleicht schon.«
    »Ein wenig. Ich würde gern mehr darüber erfahren.«
    »Dann solltest du am besten Conor fragen. Er kann diese Geschichten besser erzählen als jeder andere.«
    Conor jedoch ging ich lieber aus dem Weg. Er war immer noch in Sevenwaters, aber er versuchte nicht, mit mir zu sprechen, sondern verbrachte viel Zeit mit Sean, unterhielt sich mit Muirrin oder saß still im Garten und schaute hinaus zum Wald. Ich hatte den Eindruck, dass er auf etwas wartete.
    Ich konzentrierte mich auf andere Dinge. Onkel Sean hatte erklärt, ich müsste richtig reiten lernen, da man nie wissen konnte, wann man eine solche Fähigkeit einmal brauchen würde. Es war eine demütigende Erfahrung. Die Pferde trauten mir nicht. Und jeder konnte reiten, sogar Eilis, die kaum fünf Jahre alt war. Kein Problem für sie, dachte ich verärgert und beobachtete, wie sie auf ihrem kleinen schwarzen Pony um den Hof kanterte. Sie war damit aufgewachsen. Ich war beinahe versucht, ihr Pony scheuen zu lassen, damit sie abgeworfen wurde. Vor langer Zeit, in einer anderen Welt, hatte Darragh vorgeschlagen, mir das Reiten beizubringen, und ich hatte mich geweigert. Nun bedauerte ich das bitterlich. Darragh hätte Geduld gehabt. Er hätte vielleicht einen Witz daraus gemacht, aber er hätte nie über mich gelacht, wie Eilis es nun tat. Nicht, dass die Stallknechte nicht begierig gewesen wären zu helfen,

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