Das Kind der Stürme
wirst eines Tages dabei so gut sein, wie du schon bei allen anderen Dingen bist.«
»Ihr schmeichelt mir«, sagte ich.
»Das bezweifle ich. Lebe wohl, Fainne. Vielleicht können wir uns wieder einmal unterhalten, wenn ich Sevenwaters das nächste Mal besuche.«
»Das würde mir gefallen«, sagte ich und schaute ihm hinterher. Immerhin war es mir gelungen, mit ihm zu sprechen. Großmutter wäre wahrscheinlich zufrieden gewesen. Warum hatte dieses Gespräch mich also derart verstört, dass sich mein Magen zusammenzog, wann immer ich daran dachte? Ich ging alles, was ich gesagt hatte, noch einmal durch, und konnte keinen Fehler finden. Aber ich sah immer wieder Darraghs Gesicht vor mir, als er zugesehen hatte, wie ich auf dem Markt tanzte – das Gesicht eines Mannes, der sich irgendwie verraten fühlt. Und ich war froh, dass Darragh mich jetzt nicht sehen konnte, dass er nicht wissen würde, was ich tun und was aus mir werden musste.
KAPITEL 5
Der Wald lag wie ein Mantel aus Dunkelheit um die Festung und das kleine Dorf, das dazugehörte. Als das Jahr sich weiterbewegte und das Wetter feucht und kühl wurde, fiel es mir immer schwerer, das Gefühl abzuschütteln, dass ich hier eingesperrt war, dass ich in einer Falle saß, die immer enger wurde, um mich schließlich zu erdrücken. Der Wald schützt seine Leute, hatte Muirrin gesagt. Es kam mir so vor, als lebte und atmete dieser Wald und als hätte er einen Eindringling in seiner Mitte gespürt, der Zerstörung im Herzen trug. Großmutter hatte mir alles mit vernichtender Schlichtheit erklärt. Sorge dafür, dass sie nicht kämpfen, hatte sie gesagt, oder wenn sie es tun, sorge dafür, dass sie verlieren. Den Kampf zu verlieren bedeutete, die Inseln zu verlieren. Die Inseln zu verlieren bedeutete Schaden für den Wald und für alle, die darin lebten, ob sie nun der Menschenwelt oder der anderen Welt entstammten. Es kam mir so vor, als wüsste der Wald das, wie ein lebendiges Wesen eine tiefe Wahrheit erkennt. Dumme Gedanken, sagte ich mir und warf ein Scheit auf das kleine Feuer in meinem Zimmer. Immerhin waren es nur Bäume. Man kann Bäume fällen und verbrennen. Man kann einen Wald roden, um Platz zu machen für Felder und Weiden. Es war dumm von mir, dieser Angst zu viel Gewicht zu geben. Und dennoch, die Überlieferung warnte davor, Bäume zu unterschätzen. Für Conor und seinesgleichen waren sie machtvolle Symbole. Für Muirrin und ihre Verwandten waren sie etwas, das ihnen anvertraut war und um jeden Preis geschützt werden musste. Und der Wald schützte seinerseits alle, die in Sevenwaters lebten.
Ich stand an meinem Fenster und schaute nach unten, sah zu, wie der Regen vom Sturm seitwärts getrieben wurde, sah die leblosen Gestalten großer Eichen und Buchen unter dem Angriff des Sturms schaudern, aber fest zusammenstehen. Es war beinahe dunkel, und ich hatte eine Kerze angezündet, die dort am Fenster mühsam flackerte. Ihr goldenes Licht berührte Rionas gestickte Züge, erweckte sie zum Leben und verlieh ihrem Seidengewand die Farbe von Herbstrosen. Diese Stelle hier dicht an dem schmalen Fenster fühlte sich seltsam an. Ich hatte es schon zuvor gespürt. Sie hatte so etwas wie Macht, eine Bedeutung, als hätte eine Person hier endlos gewartet, als wäre das, was sie so intensiv empfunden hatte, immer noch dort in der kalten Luft vor der flackernden Kerze erhalten geblieben. Das Gefühl bewirkte, dass mir noch kälter wurde. Ich wandte mich ab und setzte mich aufs Bett, und Rionas Blick folgte mir.
Angst, sagte ich mir, zu viel Angst. Ich musste sie loswerden, um meine Aufgabe erfüllen zu können. Wenn der Wald mich bedrohte, musste ich damit zurechtkommen. Ich musste den Stimmen antworten und die schweigenden Wächter herausfordern. Und zielte meine Aufgabe nicht direkt auf das Herz des Feenvolks? Dennoch bebte ich bei dem Gedanken daran, allein unter diesen Eichen umherzugehen, weil ich fürchtete, ihre Stimmen zu hören. Ohne etwas über jene zu wissen, die ich besiegen musste, konnte ich nichts erreichen. War ich nicht die Tochter eines Zauberers? Wo war mein Mut geblieben?
Das Wetter wurde besser; stürmische Tage wichen frischen, frostigen Morgen und kühlen Nachmittagen unter einer bleichen Sonne, die nicht gegen den Schmerz tief in den Knochen half. Die kleinen Mädchen hörten auf, sich zu streiten, und gingen zum Spielen nach draußen, aber nicht zu weit vom Haus weg. Die letzten Arbeiten der Jahreszeit waren getan, das Dach repariert,
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