Das Kind der Stürme
fragender Blick nicht entgangen.
»Es tut mir Leid«, sagte er, »wenn ich dich bekümmert habe. Ich wollte nicht –«
»Schon gut«. Meine Stimme bebte ein wenig. »Ich – ich spreche einfach nicht gerne über diese Dinge. Ich habe ein sehr zurückgezogenes Leben geführt, bis ich hierher kam. Ein Leben der Ruhe und der Kontemplation.«
»Ich glaubte lange Zeit, dass deine Mutter auf meinem eigenen Land und auf Grund meiner Nachlässigkeit umgekommen sei«, sagte Eamonn. »Ich habe schließlich erfahren, dass sie überlebt hat und sich in einem Haus des Gebets aufhielt. Es hieß, sie sei bei schwacher Gesundheit. Aber – verzeih mir, wenn ich zu offen bin, niemand erwähnte je eine Tochter.«
»Ich kannte meine Mutter nicht«, sagte ich flüsternd. Dieses Gespräch beunruhigte mich. Ich verstand nicht, was er wollte. Wenn er Geheimnisse ergründen wollte, die von strategischem Vorteil waren, dann konnte er ja wohl kaum erwarten, dass ich etwas davon wusste.
»Sie war dir sehr ähnlich«, sagte Eamonn. »Niamh ist als Mädchen sehr bewundert worden. Tatsächlich gab es selten zwei Schwestern, die einander so unähnlich waren.« Seine Lippen zuckten. Sein Gesicht war meinem recht nahe.
»Ihr seid zweifellos froh, wieder nach Hause zurückkehren zu können«, sagte ich.
Er starrte mich schweigend an.
»Eure Familie hat Euch sicher schon vermisst«, fügte ich hinzu.
»Aisling ist die einzige Verwandte, die ich habe«, sagte er einen Augenblick später, und nun war er es, der den Blick gesenkt hatte.
Ich wartete einen Augenblick. »Das überrascht mich«, sagte ich dann. »Keine Frau? Keine Kinder? Vielleicht hat meine so zurückgezogen verbrachte Jugend mein Verständnis solcher Dinge eingeschränkt, aber wünscht Ihr Euch denn keinen Erben für Eure Ländereien?«
Er lächelte dünn. »Du bist sehr direkt, Fainne. Verblüffend direkt.«
Ich verließ mich wieder auf Großmutters Ausbildung, machte eine zierliche, verwirrte Geste, hob die Finger an die Lippen. »Es tut mir Leid. Ich wollte Euch nicht kränken. Ich bin einsam aufgewachsen, und ich habe die Kunst der Konversation nie gelernt. Bitte vergesst, was ich gesagt habe.«
»Ich nehme an, es ist ungewöhnlich«, sagte Eamonn und ließ sich neben mir auf der Treppe nieder. »Ich dachte einmal, ich könnte all diese Dinge haben. Immerhin glaubt ein Mann, das sei einfach sein Recht. Aber dann hat sich alles geändert.«
»Wie das?«
Er starrte seine Hände an, die er nun fest gefaltet hatte.
»Ah. Nun bist du es, die von Dingen spricht, über die ich nicht reden kann. Ich denke, wir müssen beide unsere Geheimnisse wahren.«
»Das tut mir Leid, Eamonn.«
Er sah mich an, die Brauen hochgezogen.
»Würdet Ihr es vorziehen, wenn ich Euch Onkel Eamonn nenne? Es kommt mir nicht ganz angemessen vor.«
»Wahrhaftig nicht, Fainne. Und immerhin bin ich nicht dein Onkel, obwohl ich es einmal hätte sein können. Ich sollte gehen. Meine Männer werden schon warten. Es ist ein langer Ritt nach Sidhe Dubh.«
»Das ist Euer Besitz?«
»Und Glencarnagh. Du würdest dieses Haus wohl vorziehen. Es ist eher ein Ort für eine Frau.«
»Und ich sollte mich lieber um die Kinder kümmern«, sagte ich. »Sie müssen sich waschen, und dann sollten sie mit ihrer Näharbeit anfangen. Tante Aisling sorgt dafür, dass wir alle zu tun haben. Mir ist es gleich. Sie sind nur so laut!«
Eamonn lächelte. Das verbesserte sein Aussehen beträchtlich. Eine Schande, dass er schon so alt war. Mindestens neununddreißig, dachte ich. Älter als mein Vater.
»Du ziehst also die Stille vor?«
Ich nickte. »Ich wäre vielleicht besser im Süden geblieben und hätte ein Leben des Friedens und der Kontemplation geführt«, sagte ich leise und erfreut, dass ich dazu nicht einmal lügen musste.
»Du möchtest nicht eines Tages eine Familie haben?«, fragte Eamonn ernst.
Ich hoffte, den Tonfall zu treffen, den Großmutter jetzt für angemessen halten würde. »In der Tat«, flüsterte ich und ließ mein Gesicht zu einem Abbild junger Fraulichkeit werden, die gerade erst erwacht. »Ein Mann, ein schöner Sohn, eine hübsche kleine Tochter – sehnt sich nicht jedes Mädchen danach?«
Wieder schwieg er kurz. »Ich hoffe«, sagte er dann, »ich hoffe, dass Sean eine kluge Wahl für dich trifft. Ich würde nicht versuchen … ich hoffe, er legt um deinetwillen ein gutes Urteilsvermögen an den Tag. Und jetzt muss ich gehen. Viel Glück mit deinem Reitunterricht. Ich bin sicher, du
Weitere Kostenlose Bücher