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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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aber das lag mehr an der Art, wie ich sie anlächelte, als an natürlicher Freundlichkeit. Seit meiner Ankunft in Sevenwaters war ich nicht ein einziges Mal unter die Leute gegangen, ohne mich in diese magische Hülle aus Schönheit und Liebenswürdigkeit zu kleiden, die der Verwandlungszauber gestattete. Kein Wunder, dass die Leute sagten, ich sähe meiner Mutter ähnlich. Ohne den Zauber hätte mich meine Schüchternheit gelähmt. Aber hier im Stallhof war ich nun versucht, den Zauber abzuschütteln und ihnen zu zeigen, was für ein einfaches, schüchternes Ding ich eigentlich war. Oder ich hätte einen Trick oder zwei anwenden können, um ihnen zu zeigen, wo ihr Platz war. Aber ich widersetzte mich der Versuchung und machte weiter. Gegen Ende des Morgens war ich müde und frustriert, und meine Lehrer kratzten sich verblüfft die Köpfe.
    »Die Pferde trauen Euch einfach nicht«, meinte einer der Stallburschen. »So etwas habe ich noch nie gesehen.« Die Stute, die ich geritten hatte, stand neben ihm, verdrehte die Augen und schauderte.
    »Keine Sorge«, sagte ich. »Ich danke Euch, dass Ihr Euch die Zeit genommen habt.«
    »Es ist mir eine Ehre«, sagte der Junge und errötete zutiefst. Dann floh ich. Ich sollte eigentlich Eilis und Maeve mit zurück zum Haupthaus nehmen, dafür sorgen, dass sie sich wuschen und mit der Handarbeit begannen. Aber das war plötzlich mehr, als ich ertragen konnte, und ich schlich mich leise hinter den Ställen davon, verzweifelt bemüht, ein paar ruhige Augenblicke zu finden. Es gab dort einen Ort, an dem man in Ruhe sitzen konnte, eine Hintertür mit drei Stufen davor. Ich wollte nur ein wenig Ruhe haben.
    Aber das war mir nicht vergönnt. Auf den Stufen saß Eamonn, zum Ausritt gekleidet, die Beine vor sich ausgestreckt, die Arme verschränkt, den Blick auf mittlere Entfernung gerichtet, die Miene verschlossen, als wäre er tief in Gedanken versunken. Er trug einen dunkelgrünen Waffenrock über der Reitkleidung.
    »Oh«, sagte ich erschrocken. »Oh, es tut mir Leid …«
    Er stand auf. »Fainne, ich glaube, ich habe mir deine Zuflucht angeeignet. Ich sollte ohnehin gehen. Ich kehre heute nach Hause zurück. Ich habe viel zu tun.«
    Erstarrt vor Schüchternheit, Verwandlungszauber oder nicht, fiel mir nicht ein, was ich ihm sagen oder was ich tun könnte. Automatisch sprach ich mit dieser leisen, etwas atemlosen Stimme, die meine Großmutter für solche Situationen vorgeschlagen hatte, und ich bewegte mich, wie sie es mich gelehrt hatte, denn mir fiel einfach nichts anderes ein.
    »Bitte bleibt doch, wenn Ihr wollt. Ich wollte Euch nicht stören. Ihr habt Recht, das hier ist der Ort, an den ich flüchte, wenn … wenn es für mich schwierig wird. Aber ich habe nichts dagegen, ihn zu teilen. Ihr sucht ebenfalls Ruhe und Frieden? Einen Ort, der ein wenig entfernt ist von all diesem Durcheinander? Ihr scheint ein sehr beschäftigter Mann zu sein.« Ich bewegte mich zögernd vorwärts und spürte, wie ich zart errötete, und dazu braucht es keinen Zauber.
    »Bitte«, sagte er, »setz dich. Du warst reiten, nicht wahr? Du siehst müde aus.«
    »Ich bin ein wenig erschöpft«, sagte ich mit bedauerndem Lächeln und setzte mich anmutig auf die oberste Stufe. Er stand neben mir, seine Miene so verschlossen wie immer.
    »Du hast nie gelernt zu reiten? Das ist ungewöhnlich für ein Mädchen deines Alters«, stellte Eamonn fest.
    »Ich weiß«, sagte ich vollkommen ehrlich. »Und ich möchte es auch nicht lernen, aber Onkel Sean sagt, es sei notwendig. Ich würde es vorziehen, meine Zeit anders zu verbringen.«
    »Anders?«
    Er schien sich mit mir unterhalten zu wollen. Vielleicht waren Großmutters Ratschläge, wie man mit Männern umging, tatsächlich brauchbarer, als ich angenommen hatte. Ich war nicht sicher, welche Antwort auf seine Frage er vorzog, also musste ich raten.
    »Nähen, lesen, lernen. Ich bin nicht an so viele Menschen gewöhnt.«
    Er nickte anerkennend. Es schien, dass ich ihn richtig eingeschätzt hatte.
    »Du bist also nicht in einer Familie wie der meiner Schwester aufgewachsen? Bist du im Haushalt deines Vaters erzogen worden?«
    Es war ein Fehler, diesen Mann unterschätzt zu haben. Ich spürte, wie ich tiefer errötete, und senkte den Blick. »Ich – verzeiht, dieses Thema bedrückt mich. Ihr solltet meinen Onkel Sean danach fragen. Es schmerzt mich, davon sprechen zu müssen.«
    Eamonn hockte sich neben mich. Er schien ehrlich besorgt. Aber mir war sein

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