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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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das Bein des Slaug, das ihm am nächsten war, abzutrennen.
    Dave setzte zu einem erregten wortlosen Freudenschrei an und biss ihn dann bitter wieder zurück. Uathachs Spottgelächter schien die ganze Welt zu erfüllen, und das Heer der Finsternis ließ hinter ihm ein raues, ohrenbetäubendes Grölen ertönen, das die Vorfreude auf die Beute ausdrückte.
    Der Preis war zu hoch, dachte Dave, er litt mit dem Mann dort unten. Der Slaug hatte zwar nun ein Bein verloren und war deshalb viel weniger gefährlich als zuvor, aber dafür war Diarmuids linke Schulter durch das Horn des Tieres aufgerissen worden. Im schwindenden Licht konnten sie sehen, wie sein Blut dunkel aus einer tiefen Risswunde hervorquoll.
    Es war zu viel, dachte Dave. Es war ein zu unmenschlicher Feind, als dass ein Mensch ihm hätte widerstehen können. Torc hatte recht gehabt. Dave wandte seinen Kopf von diesem schrecklichen Ritual ab, das da unten vor ihnen vollführt wurde, und gleichzeitig sah er, wie Paul Schafer etwas weiter drüben auf dem Grat zu ihm zurückblickte.
     
    Paul bemerkte Daves Blick und den Schmerz im Gesichtsausdruck des wuchtigen Mannes, aber sein eigener Geist war weit entfernt, er bewegte sich auf den gewundenen Pfaden der Erinnerung.
    Er dachte zurück an Diarmuid in jener ersten Nacht, als sie angekommen waren. Ein Pfirsich! hatte er von Jennifer gesagt, als er sich bückte, um ihre Hand zu küssen. Und dann wiederholte er es noch einmal und küsste noch einmal ihre Hand, um sich nur wenige Augenblicke später durch ein hohes Fenster zu schwingen und Gorlaes mit seiner Ironie zu verwirren.
    Ein weiteres Bild, ein weiterer extravaganter Satz tauchte auf. Ich habe die schönste Rose in Shalhassans Garten gepflückt. Das hatte er verlautet, als er aus dem duftenden Larai Rigal wieder zurück zu Kevin, Paul und den Männern der Südfeste kam. Immer war er extravagant, und die flammende Geste verbarg so viele tiefere Wahrheiten. Dennoch konnte man diese Wahrheiten sehen, wenn man nur hinzuschauen wusste. Hatte er nicht Sharra beschützt, nachdem sie versucht hatte, ihn in Paras Derval zu töten? Und am Vorabend seiner Reise nach Cader Sedat hatte er dann um ihre Hand angehalten.
    Und Tegid als seinen Brautwerber agieren lassen.
    Immer war da die Geste, ein glitzerndes stilvolles Etwas, das von ihm selbst ablenkte und das verbarg, was er in seinen Wurzeln und hinter dem letzten verschlossenen Tor seiner Seele war.
    Paul erinnerte sich, wie Diarmuid seinen Anspruch auf den Thron aufgegeben hatte … und auf dieser windigen Erhebung, auf der er stand, tat es ihm weh, und er wollte nicht mehr hinabsehen. In jenem Augenblick, als das Schicksal seinen Kreis vollendet zu haben schien, als Jaelle sich anschickte, für die Göttin zu sprechen und in Danas Namen den Großkönig zu ernennen, hatte Diarmuid selbst bereits die Entscheidung gefällt, indem er die richtigen Worte respektlos aussprach.
    Metall klirrte auf Metall. Paul wandte sich wieder zurück. Irgendwie war es Diarmuid gelungen, und nur die Götter wussten, was es ihn gekostet haben musste, sich von neuem an den ungeheuerlichen Urgach heranzuschwingen, und wieder hatte er angegriffen und den Kampf gegen seinen Feind vorangetragen. Aber nur, um ein weiteres Mal mit einer markerschütternden Kraft zurückgeschlagen zu werden, einer Kraft, die Paul selbst hier oben noch spüren konnte.
    Er beobachtete weiter, und es schien notwendig zu beobachten: Zeuge zu sein und die Erinnerung zu bewahren.
    Und während Diarmuids tapferes Ross wieder eine Pirouette schlug und gerade noch dem Horn des Slaugs und dem Schwert des Urgachs entkam, kehrten weitere Erinnerungen in ihm zurück. Es waren Bilder aus Cader Sedat, jenem Platz des Todes am Meer, jener Insel in allen Welten und in keiner Welt, wo die Seele ohne irgendein Versteck offen lag. Dort hatte Diars Gesicht die volle unverhüllte Leidenschaft seines Hasses gegen die Finsternis geoffenbart, als er auf Metran blickte. Dort war er in der Totenkammer unter dem Meer gestanden, und als Arthur sich anschickte, Lancelot zu beschwören und so die alte, dreiseitige Tragödie wieder in die Welt zu bringen, hatte er zum Krieger gesagt, … und es lag tatsächlich eine Wahrheit, ein Kern, ein Fingerzeig darin: »Das musst du nicht tun. Es steht weder geschrieben, noch ist es zwangsläufig.«
    Und mit einem Erschaudern, das aus plötzlicher Erkenntnis rührte, erblickte Paul nun den Faden, der von jenem Augenblick bis zu diesem hier führte. Denn

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