Das Kind des Schattens
den Nebel ihrer Tränen registrierte sie wie von ferne, dass in den Reihen der Finsternis äußerste Verwirrung herrschte, der Verlust ihres Führers hatte sie in Schrecken versetzt. Sie nahm Menschen wahr, die neben ihr einherritten, doch sie bemerkte nicht, wer es war, abgesehen von Arthur, der sie am Arm hielt.
Sie ritt den Abhang hinunter, weiter über die dunkle, steinige Ebene und kam an der Stelle an, wo er lag. Um sie herum brannten etliche Fackeln. Wie erstickt, verzweifelt holte sie Atem und wischte dann ihre Tränen mit dem weiten Ärmel ihres Kleides weg.
Dann stieg sie ab und ging hinüber. Sein Kopf ruhte im Schoß von Coll von Taerlinden, aus der Wunde, die Uathachs Schwert ihm geschlagen hatte, strömte und strömte das Blut und versickerte im dürren Boden.
Er war noch nicht tot. Er atmete mit schnellen, flachen Bewegungen seiner Brust, aber jeder Atemzug ließ einen neuen Sturzbach seines Blutes hervorquellen. Seine Augen waren geschlossen. Es standen andere Menschen um sie her, aber ihr schien es, dass sie und er ganz allein in einer weiten Nacht ohne Sterne waren.
Sie kniete neben ihm nieder, und irgendwie nahm er intuitiv ihre Anwesenheit wahr und öffnete seine Augen. Im Fackellicht nahm sie zum letzten Mal seinen hellblauen Blick in sich auf. Er versuchte zu lächeln und zu sprechen. Aber es war doch zu schmerzhaft, wie sie sehen konnte, nicht einmal das war ihm mehr erlaubt, und so senkte sie ihren Mund zu dem seinen, küsste ihn und sprach ihre letzten Worte zu ihm: »Gute Nacht, mein Geliebter. Warte auf mich an der Seite des Webers. Wenn die Götter uns lieben …«
Sie versuchte weiterzusprechen, versuchte es, bemühte sich sehr, aber die Tränen blendeten ihre Augen und ließen ihre Stimme versagen. Sein Gesicht war blutleer, im Licht der Fackeln war es knochenweiß. Seine Augen hatten sich wieder geschlossen. Sie konnte fühlen, wie sein Blut aus der Wunde strömte und den Boden, auf dem sie kniete, sättigte. Sie wusste, dass er sie nun verlassen würde. Keine Kraft der Magie, keine Stimme eines Gottes konnte ihn von dort zurückbringen, wo dieser schweigende, schreckliche Schmerz ihn hinführte. Die Wunde war zu tief, sie war endgültig.
Dann öffnete er seine Augen zum letzten Mal und mit großer Anstrengung, und sie erkannte, dass Worte nicht wichtig waren, dass sie alles wusste, was er noch sagen wollte. Sie las die Botschaft in seinen Augen und wusste, worum er sie bat. Es war, als brauchten sie sich hier in dieser letzten Stunde nur noch anzusehen, um zu verstehen.
Sie hob ihren Kopf und nahm wahr, dass Aileron auf Diarmuids anderer Seite kniete und dass sein schmerzverzerrtes Gesicht offen lag, als hätte ihm jemand einen Hieb versetzt. Nun konnte sie irgendwie verstehen, sie konnte selbst einen Platz in sich finden, um ihn zu bemitleiden. Sie schluckte und kämpfte gegen den Kloß in ihrer Kehle an, um wieder sprechen zu können: Um Diarmuids Worte auszusprechen, denn er konnte es nicht. Und so musste sie dieses letzte Mal seine Stimme sein.
Sie flüsterte: »Er möchte, dass du ihn befreist. Dass du ihn heimschickst, damit es nicht durch das Schwert des Urgach geschehen sein soll.«
»O Diar, nein!« wollte sich Aileron weigern.
Aber Diarmuid drehte ganz langsam den Kopf, verbiss den Schmerz dieser Bewegung, seine Atmung war so flach, dass sie kaum noch zu spüren war. Er blickte auf seinen älteren Bruder und nickte einmal kurz.
Aileron schwieg sehr lange, während die beiden Söhne von Ailell einander im flackernden Fackellicht ansahen. Dann streckte der Großkönig seine Hand aus und legte sie sanft an die Wange des Bruders. Dort ließ er sie einen Augenblick ruhen und blickte dann mit einer letzten Frage auf Sharra, als ob er sie mit seinen dunklen Augen um Erlaubnis bäte.
Und Sharra nahm ihren ganzen Mut zusammen, gewährte sie ihm und sagte für sich selbst und Diar: »Lass es mit Liebe geschehen.«
Dann zog Aileron dan Ailell, der Großkönig, aus einer Scheide, die von seinem Gürtel herabhing, seinen Dolch heraus und setzte die Spitze über das Herz seines Bruders. Diarmuid bewegte seine Hand und fand Sharras Hand, Aileron wartete, während er sie ein letztes Mal an seine Lippen führte. Dort hielt er sie, und mit seinen Augen hielt er die ihren, als das Messer seines Bruders ihn von seinem eisern quälenden Schmerz befreite und er starb.
Aileron zog die Klinge zurück und legte sie weg. Dann vergrub er das Gesicht in den Händen. Sharra konnte kaum
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