Das Kind des Schattens
als hätte ein jeder von ihnen seinen Atem angehalten.
»So ist es«, bestätigte ein Mann aus Eridu ruhig. Er war noch älter als Dalreidan, seine grünen Tätowierungen lagen tief in den Falten seines Gesichtes. »Ein solcher Fall muss nicht gerächt werden, weder nach den Gesetzen des Löwen, noch nach dem Recht der Berge.«
Dalreidan nickte langsam. »Ich weiß nichts von dem ersteren und allzu viel von dem letzteren«, erklärte er, »aber ich glaube, ihr wisst, dass ich kein Verlangen nach Ceriogs Tod hatte, und schon gar nicht danach, seinen Platz einzunehmen. Ich werde innerhalb einer Stunde von diesem Ort verschwunden sein.«
Wieder kam Bewegung in die Runde. »Kommt es darauf an?« fragte der junge Faebur. »Du brauchst nicht zu gehen, der Regen kommt ohnehin bald.«
Und dies richtete die Aufmerksamkeit wieder auf Kim, sie hatte sich von dem Schrecken erholt … Ceriogs Tod war nicht der erste gewaltsame Tod, den sie in Fionavar mit hatte ansehen müssen … Und als sich alle Augen auf sie richteten, war sie bereit. »Vielleicht kommt er nicht«, sagte sie und blickte auf Faebur. Der Baelrath war noch immer lebendig, er blinkte, allerdings nicht sehr intensiv.
»Bist du wirklich die Seherin von Brennin?« wollte er wissen.
Sie nickte. »Mit diesem Zwerg, Brock von Banir Tal, bin ich auf einer Reise für den Großkönig von Brennin. Er ist aus den Zwillingsbergen geflohen, um uns die Nachricht über den Verrat der anderen zu bringen.«
»Ein Zwerg im Dienste von Ailell?« fragte Dalreidan. Sie schüttelte den Kopf. »Im Dienste seines Sohnes. Ailell starb vor mehr als einem Jahr, an jenem Tag, als der Berg in Flammen stand. Nun herrscht Aileron in Paras Derval.«
Dalreidan verzog seinen Mund. »Neuigkeiten«, murmelte er, »werden in den Bergen langsam gewoben.«
»Aileron?« warf Faebur dazwischen. »Man sprach in Larak von ihm. Er war ein Ausgestoßener, nicht?«
Kim hörte die Hoffnung in seiner Stimme, einen unausgesprochenen Gedanken. Er war sehr jung; der Bart konnte es nur teilweise verbergen. »Das war er«, bestätigte sie sanft. »Manchmal kehren sie nach Hause zurück.«
»Wenn es ein Zuhause gibt«, versetzte der ältere Mann aus Eridu. »Seherin, kannst du den Regen aufhalten?«
Sie zögerte und blickte an ihm vorbei gegen Osten, wo sich die Wolken hoch auftürmten. Dann antwortete sie: »Unmittelbar kann ich es nicht. Aber der Großkönig hat andere im Dienst, und durch mein zweites Gesicht weiß ich, dass einige von ihnen gerade jetzt zu dem Ort segeln, wo der Todesregen erzeugt wird, wie es ja auch mit dem Winter gewesen ist. Und wenn es uns gelungen ist, den Winter zu beenden, dann …«
»… können wir auch den Regen beenden!« brummelte eine tiefe Stimme mit grimmiger Entschlossenheit.
Sie blickte hinab. Seine Augen waren offen.
»O Brock!« rief sie.
»Auf diesem Schiff«, fuhr der Zwerg fort – er sprach langsam, aber klar – »befinden sich Loren Silbermantel und mein Herr Matt Sören, der echte König der Zwerge. Wenn irgend jemand auf dieser Welt uns retten kann, dann sind es diese beiden.« Er hielt inne, atmete schwer.
Kim hielt ihn fest in ihren Armen, einen Augenblick lang übermannte sie die Erleichterung. »Vorsichtig«, mahnte sie, »versuche nicht zu sprechen.«
Er sah zu ihr auf. »Mach dir nicht so viele Sorgen«, bat er, »sonst kriegst du eine Furche in deiner Stirn.« Sie lachte und holte tief Atem. »Einen Zwerg umzubringen, ist nicht so leicht«, fuhr er fort. »Ich brauche einen Verband, damit das Blut nicht in meine Augen rinnt, und viel Wasser zu trinken. Wenn ich dann eine Stunde im Schatten ausruhen kann, können wir weitergehen.«
Er blutete noch immer. Kim bemerkte, dass sie weinte und seine haarige Brust viel zu fest umklammerte. Sie löste ihren Griff und öffnete ihren Mund, um zu sagen, was zu sagen nahe lag.
»Wohin? Wohin gehen?« Es war Faebur. »Welche Reise bringt dich in die Berge von Carnevon, Seherin von Brennin?« Er versuchte, streng zu klingen, aber die Wirkung war umgekehrt.
Einen langen Augenblick sah sie zu ihm hin und fragte dann, um Zeit zu gewinnen: »Faebur, warum bist du hier; warum bist du ausgestoßen?«
Er errötete, antwortete aber leise nach einer Pause: »Mein Vater verstieß mich, denn alle Väter in Eridu haben dazu das Recht.«
»Warum?« fragte sie. »Warum tat er das?«
»Seherin …« begann Dalreidan.
»Nein«, unterbrach ihn Faebur und winkte ab. »Kurz zuvor noch, Dalreidan, hast du uns deinen
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