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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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gestellt, und er sagte: »Jennifer, wenn das alles stimmt, wenn der Weber seine Macht über die Gestaltung unseres Schicksals selbst begrenzt hat, so folgt daraus … so müsste daraus eigentlich folgen … dass das Verhängnis des Kriegers nicht unwiderruflich ist.«
    Das war ihr eigener Gedanke, der in ihr zu knospen begann. Es war ein Hinweis, ein Same des Lichts in all der Dunkelheit, die sie umgab. Ohne zu lächeln oder es auch nur zu versuchen, blickte sie auf ihn, aber ihre Gesichtszüge wurden weicher, und in ihrer Stimme lag etwas, was ihm wehtat, als sie ihm entgegnete: »Ich weiß. Daran habe ich auch gedacht. O mein Freund, könnte das möglich sein? Als ich ihn zum ersten Mal wieder sah, habe ich einen Unterschied empfunden … Wirklich! Es war niemand anders hier, der in derselben Weise Lancelot war wie ich Guinevere. Niemand, der sich an meine Geschichte hätte erinnern können. Das habe ich ihm gesagt. Diesmal sind wir nur zu zweit.«
    In ihrem Gesicht bemerkte er ein verstohlenes Strahlen, einen Anflug von Farbe, den er seit dem Aufbruch der Prydwen nicht mehr gesehen hatte. Und dies schien sie in all ihrer Schönheit aus dem Reich der Statuen und Bilder in das Reich der lebenden Frauen zurückzuholen, die lieben konnten und zu hoffen wagten.
    Besser, viel besser wäre es gewesen, wenn sie sich diese Öffnung des Herzens niemals erlaubt hätte, so sollte der Lios Alfar später in dieser Nacht noch mit Bitterkeit denken, als er schlaflos in der Nähe des Anor lag.
    »Soll ich fortfahren?« fragte Flidais mit einem Anflug von Eifer, der einem erfolgsgewohnten Geschichtenerzähler anstand.
    »Bitte«, murmelte sie freundlich und wandte sich ihm wieder zu. Aber als er mit der Geschichte von neuem begann, ließ sie ihren Blick wieder auf dem Meer ruhen. So saß sie, während sie ihm zuhörte. Und er erzählte, wie die Wilde Jagd in jener Nacht, als sie den Mond bewegten, den Jüngsten, nämlich Iselens Reiter, verloren hatten. Sie bemühte sich, aufmerksam zu lauschen, während seine tiefen Satztiraden vom Wind getragen wurden. Connla, der mächtigste der Paraiko, so führte er aus, hatte sich bereiterklärt, den Bannspruch zu formen, der die Wilde Jagd zum Stillstand zu bringen in der Lage wäre, bis schließlich jemand geboren würde, der zusammen mit ihnen den Längsten Weg gehen könne … jenen Weg, der zwischen den Welten und den Sternen verlief.
    Aber so sehr sie sich auch bemühte, sie konnte ihre Gedanken nicht im Zaum halten, denn die ihr vom Andain vorher gegebene Erklärung war in ihr Herz eingedrungen, und nicht nur in der Weise, wie Brendel es beobachtet hatte. Die Frage der Unberechenbarkeit, mit der der Weber seinen Kindern das Geschenk der freien Wahl gegeben hatte, brachte Arthurs gewebtes Schicksal mit einer Möglichkeit der Sühne in Verbindung, von der sie sich zuvor nicht einmal hätte träumen lassen. Aber in Flidais Worten lag noch etwas anderes: etwas, das über ihre lange Tragödie mit Arthur in all ihrer Wiederkehr hinausging, und das hatte der Lios Alfar nicht gesehen, auch Flidais wusste nichts davon.
    Doch Jennifer wusste es, und sie hielt dieses Wissen dicht an ihrem schnell schlagenden Herzen. Unberechenbarkeit, so hatte Cernan von den Tieren und der freien Wahl, die sie verkörperten, gesprochen. Und das war auch ihr eigenes Wort. Es war ihr eigener instinktiver Ausdruck für ihre Antwort auf Maugrim, für ihr Kind und seine Freiheit, zu wählen.
    Sie sah forschend zum Meer hinaus. Inzwischen war sehr starker Wind aufgekommen, und Gewitterwolken türmten sich auf. Sie zwang sich, ihre Gesichtszüge ruhig zu halten, innerlich aber war sie so offen, lag sie so bloß wie niemals zuvor. Und in diesem Augenblick landete Danen am Waldsaum beim Fluss und nahm seine menschliche Form wieder an.
    Das Donnergrollen war noch fern, die Wolken hingen noch weit draußen über dem Meer. Aber der Wind aus dem Südwesten trieb das Gewitter herbei, und als sich das Licht allmählich veränderte, begann sich der wettererfahrene Lios Alfar unbehaglich zu fühlen. Er nahm Jennifer bei der Hand, und alle drei zogen sich in den hochgelegenen Raum zurück. Flidais brachte die gewölbten Glasfenster in den Schienen zum Rollen, sie schlossen sich nahtlos, und in der plötzlich eintretenden Stille sah Brendel, wie der Andain plötzlich den Kopf neigte, als höre er etwas. Und so war es auch. Das Heulen des Windes auf dem Balkon hatte die Alarmlaute, die durch den Großen Wald liefen, abgeschirmt. Ein

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