Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
Vom Netzwerk:
recht. Und, was weiter, was willst du da, Darien? Du bist kein Säugling mehr. Das hast du dir selbst so eingerichtet. Möchtest du, dass ich dich so behandle, als seist du es noch?«
    Natürlich möchte er es, drängte es Brendel ihr zuzurufen, konnte sie das nicht sehen? War das so schwierig für sie?
    Darien richtete sich auf. Er warf seine Hände nach vorn, es ging fast wie von selbst. Er schleuderte seinen Kopf zurück, und Brendel dachte, er habe ein Blitzen gesehen. Dann schrie der Knabe aus der Tiefe seines Herzens: »Willst du mich denn nicht?«
    Aus seinen ausgestreckten Händen zischten zwei Kraftblitze links und rechts an seiner Mutter vorbei. Der eine sauste in die Bucht, traf das kleine Boot, das am Dock angebunden war, und riss es entzwei, so dass die zerschmetterten Holzplanken im Wasser schwammen. Der andere sirrte genau am Gesicht seiner Mutter vorbei und versengte einen Baum am Waldesrand.
    »Weber am Webstuhl!« keuchte Brendel. Flidais gab neben ihm ein Geräusch von sich, als werde er erwürgt und rannte dann, so schnell seine Beine ihn trugen, zu jenem brennenden Baum. Der Andain erhob seine Arme zum lodernden Feuer, er sprach Worte, die zu schnell und leise waren, als dass man ihnen hätte folgen können, und das Feuer ging aus.
    Diesmal ist es ein wirkliches Feuer, dachte Brendel wie betäubt. Das letzte Mal am Sommerbaum war es nur eine Illusion gewesen. Der Weber allein wusste, wo die Macht dieses Kindes endete oder wohin sie sich fortsetzte.
    Als wolle er auf seine Gedanken, seine unausgesprochenen Ängste antworten, begann Darien von neuem zu sprechen. Und diesmal klang es sehr deutlich. Seine Stimme übertönte den Wind und den Donner draußen auf dem Meer, aber auch das dröhnende Trommeln, das sich jetzt aus dem Waldboden erhob.
    »Soll ich nach Starkadh gehen?« fragte er seine Mutter herausfordernd. »Soll ich schauen, ob mein Vater mich freundlicher aufnimmt? Ich bezweifle, dass Rakoth irgendwelche Skrupel hat, einen gestohlenen Dolch anzunehmen! Lässt du mir denn eine Wahl … Mutter?«
    Er ist kein Kind, dachte Brendel. Das waren weder die Worte noch die Stimme eines Kindes.
    Jennifer hatte sich nicht bewegt, sie war selbst in dem Augenblick, als die Blitze an ihr vorbeizischten, nicht ausgewichen. Nur ihre Finger, die sich an ihrer Seite zusammenkrampften, verrieten ihre Anspannung. Und inmitten all seiner Zweifel und Ängste und seiner betäubenden Unfähigkeit zu verstehen, erschrak Brendel von den Lios Alfar wieder vor dem, was er in ihr sah.
    Sie antwortete: »Darien, ich lasse dir die einzige Wahl, die es gibt. Soviel kann ich sagen und weiter nichts: Du lebst, obwohl dein Vater wollte, dass ich tot sei, so dass auch du niemals in das Gewirk hättest eintreten können. Ich kann dich nicht in meinen Armen halten oder dir Liebe und Schutz gewähren, wie ich es in Vaes Haus getan habe, als du geboren wurdest. Diese Zeit liegt hinter uns. Du musst eine Wahl treffen, und alles, was ich weiß, sagt mir, dass du frei und ohne Zwang wählen musst, sonst ist es so, als hättest du niemals gewählt. Wenn ich dich jetzt an mich binde oder dies auch nur versuche, raube ich dir dein Selbst.«
    »Und wenn ich diese Wahl nicht treffen will?«
    Brendel mühte sich ab, um zu verstehen, was vor sich ging, und es schien ihm, als hinge Dariens Stimme irgendwo zwischen der Explosion seiner Macht und seinem flehenden Verlangen.
    Seine Mutter lachte, aber es klang nicht hart. »O mein Kind«, belehrte sie ihn, »niemand von uns will diese Wahl treffen und doch müssen wir es alle. Nur ist dein Weg der härteste, und der, auf den es am allermeisten ankommt.«
    Der Wind beruhigte sich ein wenig, und es war wie die Stille vor dem Sturm, ein Zögern. Darien erwiderte: »Finn hat mir … einmal erzählt …, dass meine Mutter mich liebte und dass sie wollte, dass ich etwas Besonderes sei.«
    Und nun bewegte Jennifer ihre Arme fast unwillkürlich, sie verschränkte sie fest vor ihrer Brust.
    »Acushla machree«, sagte sie, oder zumindest klang es so für Brendel. Sie wollte weiterreden, hielt dann aber an sich, als führe sie sich selbst am kurzen Zügel.
    Gleich darauf fügte sie mit veränderter Stimme hinzu: »Er hatte unrecht … was dieses Besonderssein betrifft, das sollst du jetzt wissen. Deine Kraft kommt von Rakoth, wenn deine Augen rot werden. Von mir hast du nur die Freiheit und das Recht zu wählen, eine eigene Wahl zwischen Licht und Finsternis zu treffen. Das ist alles.«
    »Nein, Jen!«

Weitere Kostenlose Bücher