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Das Kind

Titel: Das Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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und warf es achtlos zu Boden, bevor er sich wieder in die Polster zurückfallen ließ. Er war hundemüde und würde sowieso nur die ersten Minuten überstehen, bevor er, wie so oft am Wochenende, auf dem Sofa einschlief. Glücklicherweise gab es niemanden, der ihn am nächsten Morgen hier fi nden würde. Keine Familie. Keine Freunde. Nicht mal eine Haushälterin.
Der Anwalt drückte auf »Play« und erwartete einen dieser lächerlichen Warnfi lme, die man nicht vorspulen konnte und in denen mit Gefängnis gedroht wurde, falls man den nachfolgenden Film illegal kopierte.
Stattdessen ruckelte das Bild mehrmals wie bei einem schlecht ausgeleuchteten Urlaubsvideo. Stern runzelte die Stirn und setzte sich auf. Plötzlich erkannte er die gefi lmte Umgebung, und diese Tatsache riss ihn vollends aus seinem Halbschlaf. Von einer Sekunde auf die andere verschwand alles um ihn herum aus seinem Wahrnehmungsfeld. Er spürte weder die Weinfl asche, die ihm aus den Händen glitt, noch ihren blutroten Inhalt, der sich nun vollends über sein weißes
Hemd ergoss. Alle äußeren Reize waren mit einem Schlag ausgeblendet, und es gab nur noch ihn und den Fernseher. Und selbst der hatte sich verwandelt. Stern glaubte nicht mehr auf eine Mattscheibe zu sehen, sondern durch ein staubiges Fenster, hinter dem sich ein Raum erstreckte, den er in seinem Leben niemals wieder hatte betreten wollen. Als die Kamera näher heranzoomte, befürchtete er, seinen Verstand verloren zu haben. Nur einen Wimpernschlag später war er sich dessen sicher.

7.
D as grünstichige Bild der Säuglingsstation fror ein, als die
verzerrte Stimme ihren ersten Satz sagte: »Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod, Herr Stern?« Die Worte kamen metallisch verändert aus den Lautsprechern und waren dennoch von einer derart unheimlichen Präsenz, dass Robert kurz versucht war, sich umzudrehen, um herauszufi nden, ob ihre Quelle in Fleisch und Blut direkt hinter ihm stand.
Nach einer Schrecksekunde rutschte er vom Sofa und kroch auf den Knien langsam zum Fern seher. Ungläubig berührte er die elektrostatisch aufgeladene Glasoberfl äche und tastete den digitalen Schriftzug der Datumsanzeige ab, als handelte es sich um Blindenschrift.
Aber selbst ohne diesen Hinweis gab es für ihn keinen Zweifel, wann und wo das Band aufgenommen worden war: vor zehn Jahren, in dem Krankenhaus, in dem Felix die Welt mit
roten Wangen begrüßt und nur achtundvierzig Stunden später mit erkalteten blauen Lippen wieder verlassen hatte. Tot.
Sterns Finger tasteten sich zur Bildschirmmitte, wo sein neugeborener kleiner Junge in einer Plexiglaswanne lag, die zwischen zahlreichen anderen Babybetten stand. Und Felix lebte! Er bewegte die zerbrechlichen Ärmchen, als wolle er
das Wolkenmobile berühren, das Sophie und Robert schon lange vor der Geburt aus Wattebällchen für ihn gebastelt und an das Metallgestell des Bettes gehängt hatten. »Glauben Sie an Seelenwanderung? An Reinkarnation?« Robert zuckte vor dem Fernseher zurück, als hätte der Geist seines Sohnes persönlich zu ihm gesprochen. Das unscharfe Bild des Kindes in dem lichtblauen Babyschlafsack nahm seine Sinne so sehr in Anspruch, dass er darüber die blechern hallende Stimme fast vergessen hatte. »Sie haben keine Ahnung, wo Sie hier hineingeraten sind, oder?«
Stern schüttelte wie in Trance den Kopf, als könne er tatsächlich mit dem anonymen Sprecher kommunizieren, dessen Sätze wie die eines Krebskranken klangen, der durch ein Kehlkopfmikrophon sprechen muss.
»Ich kann Ihnen leider meine Identität nicht offenlegen, aus Gründen, die Sie sehr schnell verstehen werden. Deshalb erschien es mir am sinnvollsten, Sie auf diesem Weg zu kontaktieren. Sie haben Ihr Haus wie eine Festung gesichert, Herr Stern. Mit einer Ausnahme: Ihren Briefkasten. Ich hoffe, Sie sind nicht nachtragend, dass ich durch den Austausch der DVD Ihr freitägliches Unterhaltungsritual etwas durcheinandergebracht habe. Aber glauben Sie mir: Das, was ich Ihnen gleich zeigen werde, wird für Sie weitaus spannender werden als die Tierdokumentation, die Sie eigentlich bestellt
hatten.«
Aus Sterns Auge löste sich eine Träne, während er den Blick starr auf Felix gerichtet hielt.
»Allerdings muss ich Sie bitten, sich jetzt ganz besonders zu konzentrieren.«
Als der Bildausschnitt kleiner und Felix’ Gesicht dafür größer wurde, war es für Stern wie ein Tritt in die Magengrube.
Wer hat das gefi lmt? Und warum?
Einen Herzschlag später war er

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