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Das Kind

Titel: Das Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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Wertgegenstände abtransportiert. Stern verharrte einen Augenblick bewegungslos, dann löschte er das unbequeme Licht, das ihn an das karge Zimmer erinnerte, in dem er gestern von Engler und Brandmann verhört worden war. Der Anblick seines verwahrlosten Zuhauses war etwas, das er nach all den Ereignissen der Woche nun besser im Halbdunkel ertragen konnte.
Sterns Schritte auf dem Kirschholzparkett hallten von den bilderlosen Wänden wider. Auf seinem Weg zur Couch kam er an einem umgekippten Gartenstuhl und einer vertrockneten Zimmerpfl anze vorbei. Weder Regale noch Vorhänge, Schränke oder Teppiche waren vorhanden. Nur eine schirmlose silbergraue Stehlampe stand schief neben dem Sofa. Selbst angeschaltet hätte sie die hallenartigen Ausmaße des Wohnzimmers nicht ausleuchten können, da ihr drei von vier Glühbirnen fehlten. Als eigentliche Lichtquelle fungierte daher meistens der altersschwache Röhrenfernseher, der zwei Meter entfernt vor dem leeren Kamin direkt auf dem Boden stand.
Stern setzte sich auf die Couch, griff zur Fernbedienung und schloss die Augen, als weißes Rauschen den Bildschirm ausfüllte.
Zehn Jahre, dachte er und ließ seine Hand über die leere
Fläche neben sich gleiten. Er streichelte das aufgerauhte Leder, tastete nach dem Brandfl eck, den die Wunderkerze hinterlassen hatte, die Sophie bei einer Silvesterfeier vor Lachen aus der Hand gefallen war. Vor zehn Jahren. Damals waren ihre Tage seit zwei Wochen überfällig gewesen. Im Gegensatz zu ihm hatte Sophie es nach dem Tod von Felix geschafft, vor sich selbst zu fl iehen. Als Versteck hatte sie sich eine zweite Ehe ausgesucht. Immerhin waren bislang zwei Kinder aus ihr hervorgegangen – Zwillinge. Die Mädchen waren sicherlich der einzige Grund, warum Sophie nicht in ihren Depressionen ertrunken war. So wie ich.
Stern zerschnitt das Band der Erinnerung, indem er die Augen wieder öffnete. Dann zog er den Korken aus dem Hals der halbleeren Weinfl asche, die schon seit Tagen auf dem
Boden stand. Der Geschmack war scheußlich, aber das Getränk erfüllte seinen Zweck. Da er nie Gäste erwartete, gab es sowieso nichts anderes im Kühlschrank – und selbst wenn einer seiner Kollegen sich unangemeldet hier zu ihm verirren sollte, was bislang noch nie vorgekommen war, würde er ihn nicht hereinlassen.
Nicht ohne Grund beauftragte er jedes Jahr eine Sicherheitsfirma damit, alle Fenster und Türen mit den neuesten Entwicklungen im Einbruchsschutz auszurüsten. Dabei war er sich sehr wohl bewusst, dass die Mechaniker ihn für einen Spinner halten mussten. Denn im gesamten Gebäude befand sich nichts von Wert.
Doch Stern hatte keine Angst vor Einbrechern. Er hatte Angst vor Entdeckern. Menschen, die hinter seine sorgfältig aufgebaute Fassade aus teuren Anzügen, hochglanzpolierten Dienstwagen und aufgeräumten Eckbüros mit Aussicht auf das Brandenburger Tor blickten, um dort die leeren Seelenräume des Robert Stern zu erkennen.
Er nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche und verschüttete dabei ungeschickt etwas Rotwein, der sich auf seinem weißen Oberhemd ausbreitete. Als er müde an sich heruntersah, schoss ihm dabei unwillkürlich wieder die Erinnerung an das Feuermal durch den Kopf: Sophie hatte es als Erste entdeckt, als sie Felix in den Armen hielt, frisch gebadet und ohne die wärmende Decke, in die der Säugling unmittelbar nach der Geburt gewickelt worden war. Zuerst waren sie besorgt gewesen, es könnte sich um eine bösartige Hautveränderung auf seiner Schulter handeln, doch die Ärzte hatten sie beruhigt. »Es sieht aus wie die Karte von Italien«, hatte Sophie noch gelacht, als sie ihn mit Babyöl einrieben. Danach beschlossen sie feierlich, ihren ersten Familienurlaub in Venedig zu erleben. Am Ende waren sie nur
bis zum Waldfriedhof gekommen.
Stern stellte die Weinfl ache ab und ging seine Post durch. Zwei Werbebriefe, ein Strafzettel und der wöchentliche Kontoauszug seiner Bank. Das Persönlichste darunter war die neueste DVD seines Internetverleihs. Seitdem man sich Filme per Post zuschicken lassen konnte, ging er am Wochenende noch nicht einmal mehr in die Videothek. Er öffnete den kleinen Pappumschlag, ohne dabei auf den Titel des Filmes zu achten. Vermutlich kannte er den Streifen bereits. Stern bestellte sich grundsätzlich nur Filme, in denen möglichst keine Kinder und wenig Liebesszenen vorkamen, und da war die Auswahl nicht besonders groß. Nachdem er die DVD eingelegt hatte, zog er sich sein Jackett aus

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