Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen
klingelte. Es war spät, und ich dachte, Sigrun hätte ihren Schlüssel vergessen, und öffnete die Tür einen Spaltbreit. Jemand trat sie mir mitten ins Gesicht.
Ich lag auf dem Rücken und rang nach Luft. Blut lief mir aus der Nase. Ich dachte an den Teppichboden und daran, dass er neunundsiebzig Euro den Quadratmeter gekostet hatte. Die Tür wurde zugeschlagen. Mein Angreifer rammte mir mit voller Wucht seinen Stiefel in die Nierengegend. Über mir stand breitbeinig eine dunkle Gestalt.
»Zernikow.«
Das war eine Feststellung. Ich wollte mich gerade wundern, dass es eine Frauenstimme war, die da ihren Weg in mein Großhirn fand, als die Dame mit dem rechten Bein ausholte und mir genau dorthin trat, wo es Männer am meisten schmerzt.
In mir explodierte ein Feuerwerk. Das war ernst. Bis zu diesem Moment hatte der Schmerz mich noch verblüfft. Nun registrierte ich, dass es jemand auf mich abgesehen hatte. Jetzt kam die Panik.
Sie riss mich am Bademantelrevers hoch, spuckte mich an und schrie irgendwelche Worte, die ich nicht verstand. Der Tonfall aber war eindeutig: Du hast mich ins Knie gefickt, Zernikow!
Kaum dass ich den Namen verstanden hatte, holte sie aus und verpasste mir eine Rechte, dass meine Kieferknochen knackten. Ich versuchte rückwärtszurobben, aber ihre Schenkel hielten mich eisenhart umklammert.
Nein!, versuchte ich zu schreien. Es klang wie »Ngmmm!«.
Sie ließ mich los, mein Kopf knallte auf den Boden. Ich wunderte mich, dass ich noch am Leben war. Irgendwie musste ich sie davon überzeugen, dass hier ein Irrtum vorlag. Ich war nicht Zernikow. Und ich wollte im Moment auch nicht mit ihm tauschen.
Ich versuchte, meinen Kiefer zu bewegen. Die Frau stand auf und ging an mir vorbei ins Wohnzimmer. Ich blieb wimmernd im Flur liegen. Dann kam sie wieder zurück und fasste mich unter die Schulter. Ich schrie auf vor Schmerz. Sie schleifte mich an die Heizung. Ich hörte es noch klirren, als sie meinen Arm hob, dann hatte sie mich mit einer Handschelle an die Leitung gefesselt. Das Nächste, was ich mitbekam, war ein Eimer Wasser, den sie über mir ausschüttete. Mittlerweile machte ich mir keine Gedanken mehr um die Auslegware. Ich hatte einfach nur noch Angst.
»Sieh mich an, Schwein.«
Aha, man spricht Deutsch. Nicht akzentfrei, aber es schien einen Weg der Verständigung zu geben. Wie durch ein Wunder hing das Handtuch immer noch um meine Schulter. Ich zog es mit der freien Hand hervor und wischte mir das Blut aus den Augen.
Sie war Anfang, Mitte dreißig. Schulterlange braune Haare, eine schmale Taille und ein rundes, ebenmäßiges Gesicht. Ich hatte sie noch nie in meinem Leben gesehen.
Ich bin nicht Zernikow, wollte ich sagen. »Ichmmchommm« kam heraus.
Sie nahm mir das nasse Handtuch ab, holte aus und schlug es mir mit voller Kraft ins Gesicht. »Du hast keine Sprache mehr?«, raunzte sie mich an.
Ich fühlte mit der Zunge, ob ich noch alle Zähne im Mund hatte, und gab mir unendlich viel Mühe. »Ich – bin – nicht Zernikow! «
Sie nahm das Handtuch wieder hoch. Mir wurde speiübel. Von einem nassen Handtuch erschlagen – das konnte nicht mein Ende sein. Ich schüttelte den Kopf, auch wenn es schmerzte, als ob in meinem Schädel Zimmermannsnägel Polka tanzten. »Nicht Zernikow!«, rief ich. »Vernau. Joachim Vernau! Und wer sind Sie?«
»Milla, Tochter von Natalja Tscherednitschenkowa.« Sie ließ das Handtuch sinken. »Wo ist Zernikow?«
Eine Begegnung mit ihr würde Utz nicht überleben. »Was wollen Sie von ihm?«
Sie kniete sich vor mir nieder und fixierte das, was von meinem Gesicht übrig geblieben war. Ich musste fürchterlich aussehen, denn sie verzog den Mund. »Ich wollte nicht glauben, was die Alten sagen. Doch es ist wahr. Ihr alle habt das Zeug zum Mörder.«
Ich brachte mich in eine halbwegs aufrechte Position. Sie schien verhandlungsbereit. »Wieso Mörder?«
Sie hob die Hand und griff mir ans Kinn. Es schmerzte höllisch. Dann wendete sie meinen Kopf von der einen zur anderen Seite und musterte, was sie angerichtet hatte. »Es tut weh?«
Ich nickte.
Sie holte aus und verpasste mir zwei schallende Ohrfeigen. »Das soll es auch«, sagte sie.
Als sie wieder ausholte, schnellte ich mit meinem freien Arm vor, riss sie herum, dass ihre Knochen knackten, schlug ihren Kopf an den Heizkörper und drückte sie mit Knie und Arm in den Schwitzkasten. Ich hielt sie eisern fest. Sie bekam keine Luft mehr, japste, strampelte und gab langsam nach. Ich ließ erst
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