Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen
was hat das mit Utz von Zernikow zu tun?«
»Meine Mutter war sein Kindermädchen.«
»Wie schön«, sagte ich. Die Worte waren kaum gesprochen, da bereute ich sie schon.
Ihre Augen verengten sich. »Schön? Mit zwölf im Viehwaggon verschleppt, in Fabriken halb tot geschunden, als Arbeitskraft missbraucht und verachtet? Schön?«
»Es tut mir leid«, antwortete ich.
»Meine Mutter hat für eure Taten gebüßt, und ihr lebt wie die Made im Speck. Ich bin so wütend. Ihr Kindeskinder.«
»Ist Ihre Mutter auch wütend?«
Sie schluckte. »Nein. Sie nicht.«
»Seit wann wissen Sie die Wahrheit?«
»Sie hat erst mit mir gesprochen, als Olga tot war. Als sie getötet wurde. Sie war der einzige Mensch, der die Wahrheit wusste.«
»Die Polizei geht von einem Unfall aus.«
»Polizei. Deutsche Polizei. Ertrunken soll Olga sein?« Sie stieß einen Laut aus, der ein Lacher hätte sein können, wenn er nicht so verächtlich gewesen wäre. »Olga war Achte bei der Spartakiade 1952. Auf zweihundert Meter Schmetterling.«
»Sie war alt.«
»Sie ist jeden Tag im Dnjepr geschwommen. Am liebsten, wenn sie vorher ein Loch ins Eis hacken musste.« Sie hob die Waffe. »Ich habe genug vom Reden. Führen Sie mich zu Zernikow.«
»Und dann?«
»Dann wird er meiner Mutter eine Bestätigung schreiben.«
»Und dann?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht fahren wir spazieren. An einen hübschen Kanal?« Sie lächelte, als ob das eine bezaubernde Idee für zwei so nette Menschen wie uns wäre.
In diesem Moment klingelte es an der Haustür. Sie sprang auf und hantierte hektischer, als mir lieb war, mit der Pistole. Dabei zischte sie mir Anweisungen zu, die ich nicht verstand.
»Ruhig! Ganz ruhig!« Ich hob die Hände. »Das ist bestimmt nur meine Frau. Sie wird den Schlüssel vergessen haben.«
Jemand trat donnernd von außen an die Tür. Dann rief eine Männerstimme: »Polizei hier. Hallo! Ist alles in Ordnung?«
»Ich muss hingehen«, sagte ich zu ihr.
Milla atmete schnell und werkelte wie verrückt an ihrer Pistole herum. Ich trat einen Schritt auf sie zu.
»Öffnen Sie bitte! Wir brechen sonst die Tür auf!«
Wie durch ein Wunder gelang es ihr, den Hahn zu spannen. Nun war sie eine tickende Zeitbombe.
»Milla, lassen Sie mich hingehen. Ich schicke sie wieder weg, okay?«
»Polizei? Deutsche Polizei?«
»Ich verspreche Ihnen, ich werde mich um alles kümmern.«
Sie zielte auf mein linkes Ohrläppchen. »Versprechen? Wie soll ich das glauben?« Sie schrie fast. An der Haustür begann ein Heidenlärm. Ihre Hand zitterte stark.
»Ich gebe Ihnen mein Wort. Mehr bekommen Sie nicht. Nicht heute Abend, nicht morgen, gar nicht. Sie haben wenig in der Hand. Aber ich kann Ihnen vielleicht helfen, die Wahrheit herauszufinden.«
»Dann versprechen Sie das. Schwören Sie.«
Ich nickte.
»Schwören! Dass er unterschreibt!«
Ich hob die Hand und sagte: »Ich schwöre«, dann ging ich in den Flur. Dem Geräuschpegel nach versuchten die Herrschaften gerade, die Tür aufzubrechen. Ich lugte durch den Spion. Draußen standen tatsächlich zwei Uniformierte. Ihren Wagen hatten sie in zweiter Spur abgestellt, das blaue Licht rotierte noch. Ich öffnete.
»Ist alles in Ordnung?« Ein junger Mann, Polizeiobermeister, musterte mich. »Sie hatten angerufen.«
»Es war ein Irrtum. Ich habe sofort wieder aufgelegt.«
»Trotzdem. Dürfen wir eintreten? Frau Senatorin Zernikow steht unter erweitertem Personenschutz. Das Telefon ist direkt mit unserer Wache verbunden. Deshalb nehmen wir jeden Anruf ernst.« Er sah mich genau an. »Jeden.«
Ich gab die Tür frei. Mehr konnte ich nicht machen. Ich beschloss, mich außerhalb der Schusslinie zu halten. Die beiden Männer traten ein. Sie sahen sich im Flur um und gingen dann ins Wohnzimmer. Nichts geschah. Alles blieb ruhig.
Schließlich siegte meine Neugier. Ich lugte um die Ecke und sah Milla zitternd auf der Couch sitzen und in ihrer Handtasche wühlen.
»Beruhigen Sie sich«, sagte POM 1 freundlich zu ihr. »Wir tun Ihnen ja nichts. Wir wollen nur Ihren Pass sehen.«
Sie reichte ihm ihre Papiere, und er blätterte desinteressiert darin herum.
»Ist das da Blut?«, fragte POM 2. Er deutete auf den dunklen Fleck vor der Heizung und das zusammengeknüllte, ehemals weiße Handtuch. Die Frage war überflüssig, denn er sah dabei in mein Gesicht.
»Wir hatten eine kleine interne Auseinandersetzung«, antwortete ich.
POM 1 wandte sich an Milla. »Sind Sie verletzt?«
»Nein«, antwortete sie.
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