Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Titel: Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
Vom Netzwerk:
Expressionist, ich hätte ihn der Künstlergruppe der Blauen Reiter zugeordnet. Oder ein Brücke-Maler. Es zeigte eine Sichtachse des Wörlitzer Parks bei Dessau und war, ohne Namen, nur mit der Jahreszahl 1937 datiert.
    »Signiert wäre es ein Vermögen wert«, sagte Zernikow, als er den Mechanismus in Gang setzte, der das Bild von der Wand
wegklappte. »Der Maler ist wenig später emigriert. Mein Vater hatte einen Blick für Kunst. Diese Art von Kunst. Alles, was später als entartet galt. Er hat vielen geholfen. Bilder gekauft, versteckt. Das hier war eine Auftragsarbeit. Der Mann durfte nicht mehr arbeiten. Deshalb hat er es auch nicht signiert.«
    Es war eine Herbststudie des Parks, rotgolden belaubte Bäume um einen stillen, dunklen See. Der Himmel war bedeckt und dämpfte die Stimmung zu einer sanften Abendruhe. Nur am Horizont lichteten sich die Wolken zu einem hoffnungsverheißenden Rot.
    »Viel haben wir nicht behalten. Aber das hier haben die Amis nicht von der Wand gekriegt. Gott sei Dank haben sie es nicht zerstört. Ich hänge daran. Erinnert mich an ihn.«
    Das Bild schwang vor, und wir wandten uns dem Safe zu. »Umdrehen«, befahl Utz. Ich hörte, wie das Rad leise klickte, als es beim Wählen der Zahlenkombination einrastete.
    »Fertig.« Er öffnete die Stahltür, die ungefähr fünfzig mal fünfzig Zentimeter groß war. Im Safe lagen nur Akten. Ich konnte nichts entziffern, denn Utz schrieb alles, was ihm wichtig war, in Sütterlin. Ich glaubte, Lehnsfeld auf einem Seitenfalz zu entziffern, wollte aber auch nicht zu neugierig daraufstarren.
    »Es gibt verschiedene Formen der Verschwiegenheit.« Utz entnahm dem Safe einige Akten. »Die, zu der das Gesetz uns verpflichtet. Mit ihr verdienen wir unser Geld. Und die, die wir der Familie schulden. Und den Freunden, die zu unserer Familie gehören. Sie gibt uns Ehre und Würde. Doch sie ist kein leicht verdientes Brot.«
    Er reichte mir eine Akte. Ich öffnete den Deckel und überflog die obersten Blätter. Ein Verfahren gegen Aaron von Lehnsfeld, der entgegen der Auflagen des Liegenschaftsfonds mit Bauarbeiten an seiner Villa in Grünau begonnen hatte. Schönen Dank. »Wieso hat dieser Trottel angefangen zu bauen?«
    Utz seufzte. »Bauen ist etwas übertrieben. Einen Tag nach der
Testamentseröffnung hat er einen Bagger gemietet und mit zwei Hilfsarbeitern angefangen, die Kellerwand einzureißen. Jetzt wird natürlich der sofortige Baustopp angeordnet. Du bekommst von mir den Auftrag, die Sache wieder in Ordnung zu bringen. Sonst nehmen sie dem Jungen das Haus weg.«
    »Vielleicht will er das ja. So viel Aufsehen erregen wie möglich, um seinen Vater unter Druck zu setzen. Nur ein Idiot baggert Wände ohne Baugenehmigung an. Er wurde doch explizit auf diese Gefahr hingewiesen.«
    »Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht.« Utz setzte sich hinter seinen Schreibtisch. »Ich weiß nicht, was in diesen Köpfen vorgeht. Kinder. Du glaubst, du kennst sie, und dann stellst du fest, dass sie dir fremd geworden sind.«
    Er sah auf einen silbernen Rahmen, der auf seinem Schreibtisch stand. Das Bild zeigte Sigrun mit ihrer Mutter. Sigrun trug Zöpfe, eine Zahnspange und weiße Kniestrümpfe. Sie saß auf einer Schaukel und jauchzte vor Vergnügen. Die schöne blonde Frau hinter ihr schubste sie gerade an. Es war ein heiteres Bild, aufgenommen kurz vor Reginas Tod. »Kennst du sie wirklich?«
    Ich trat an den Tisch heran. »Sigrun? Ich will es doch hoffen.«
    »Ihr wollt doch Kinder, oder?«
    Ich hatte erwartet, dass Sigrun mit ihm darüber gesprochen hätte. Wir waren uns einig, keine Kinder zu bekommen. Nicht jetzt, nicht später. »Es muss ja nicht sofort sein«, sagte ich unsicher.
    Utz nickte. »Aber ihr habt auch nicht mehr viel Zeit. Sigrun ist siebenunddreißig.«
    »Ich weiß«, antwortete ich. »Sie ist alt genug, selbst zu entscheiden.«
    »Gewiss.« Er deutete auf die Akte. »Denke daran: Verschwiegenheit.«
    »Selbstverständlich«, erwiderte ich. »Soll ich sie dir abends wieder zurückbringen?«

    »Nein. Schließ sie vorerst in deinen Schreibtisch ein. Du bekommst auch einen Safe. Aber nicht so einen schönen!«
    Er lachte, ich lachte auch. Utz schloss den Tresor und klappte das Bild wieder darüber. Er strich noch einmal über den Rahmen und schaute dann auf die schwarzen Spuren auf seinen Fingern.
    »So was«, murmelte er. »Walter soll mal wieder sauber machen.«

10
    Ich war schon im Bademantel und trug das Handtuch um die Schulter, als es

Weitere Kostenlose Bücher