Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen
folgte ihrem Blick und sah direkt in Dresslers Linse. Das Blitzlicht flammte auf. Ich wandte mich ab.
»Und Ihr Mann?«
Dressler fand andere Opfer. Sie knipste das Lächeln aus und wirkte betrübt.
»Madrid. Die Anhörungen ziehen sich in die Länge. Wie das so ist.« Eine Sekunde lang biss sie sich auf die Lippen, dann hakte sie sich plötzlich bei mir ein.
»Also: Heute Abend weiche ich Ihnen nicht mehr von der Seite. Sigruns Einverständnis vorausgesetzt.«
»Verena«, begann ich und zog sie, einer Eingebung folgend, hinter den Rhododendron. »Ich brauche Ihre Hilfe. Dringend.«
Sie hatte zur Feier des Tages tief in die Schmuckschatulle gegriffen. Kostbar eingefasste schwarze Perlen an den Ohrläppchen, eine fingerdicke venezianische Goldkette um den Hals, an den Armgelenken mehrere klimpernde Reifen von einem Gewicht, das einer ungeübteren Trägerin an diesem Abend mindestens eine Sehnenscheidenentzündung beschert hätte. Woran mein Blick aber begehrlich haften blieb, war etwas anderes.
»Ja, bitte?«, fragte sie. Ich hatte sie wohl etwas intensiver beäugt als beabsichtigt. Ich nahm ihre rechte Hand, betrachtete sie und gab ihr einen Kuss darauf. Nicht gerade comme il faut, aber etwas, was Damen eines gewissen Alters durchaus genießen. Dabei ließ ich meinen Blick verstohlen in ihr Dekolleté fallen, gerade lang genug, dass sie ihn bemerken konnte.
Nicht neu der Trick, aber unschlagbar. Er wirkt immer. Verena lächelte mit einem Mal wissender, als mir lieb war. »Herr Vernau, Joachim …«
Ich beugte mich über ihre Hand. »Ich brauche diesen Ring.«
Sie zuckte zurück, als hätte ich angekündigt, ihn mit dem Finger abzuhacken. Erst blickte sie auf das mit Smaragden überladene Ungetüm, dann auf mich. »Ich verstehe nicht …«
Ich zog sie noch ein bisschen tiefer ins Gebüsch. Dabei legte ich ihr vertraulich den Arm um die Schulter und versicherte ihr, dass sie die Einzige wäre, der ich mich anvertrauen könnte. Was in gewisser Weise auch stimmte. Es schien zumindest etwas besänftigend zu wirken. Sie lief nicht schreiend davon und alarmierte auch nicht den Wachdienst.
»Ich habe es vergessen. Sigrun wird mir den Kopf abreißen. Das ist heute Abend nicht irgendein Geburtstag.«
»Doch nicht etwa der fünfunddreißigste? Der vierzigste? Ein schreckliches Datum. Es geht bergab, in jeder Beziehung.« Sie warf einen wehmütigen Blick in ihren Ausschnitt. Ich tat es ihr nach, und augenblicklich lächelte sie.
Ich riss mich scheinbar zusammen und sah ihr zur Abwechslung tief in die Augen. »Ich brauche kein Geburtstagsgeschenk. Ich brauche etwas für eine Verlobung.«
»Eine Verlobung!«, platzte es aus ihr heraus. »Ihre? Mit Sigrun? « Instinktiv huschte ihr Blick an mir vorbei auf der Suche nach bekannten Gesichtern, denen sie diese Neuigkeit brühwarm mitteilen konnte.
»Sie wird rasen, wenn ich keinen Ring habe. Es gibt Mord und Totschlag. Ich werde geteert und gefedert vom Hof gejagt.«
»Ein Skandal!«, rief sie mit glitzernden Augen, denen irgendwie das Mitgefühl für meine Situation zu fehlen schien.
»Eine Hinrichtung. Tun Sie mir das nicht an.«
Sie rief sich zur Ordnung und blickte streng. »Wissen Sie eigentlich, was der Ring wert ist?«
»Für mich ist er unbezahlbar. Sie retten ein Leben damit.« Ich führte die wichtigere Hand erneut an die Lippen. Dieses Mal ohne Dekolletéblick. Als ich sie sinken ließ, musterte Verena die Smaragde mit einem rätselhaften Blick.
»Sardinien. 1994. Eleonora.«
Eine wunderschöne Arbeit. Die Steine strahlten in dem gesamten Spektrum der Grüntöne, sie waren etwas altmodisch gefasst, aber das machte dieses Schmuckstück nur noch wertvoller.
Verena deutete auf die anderen Ringe an ihren Händen, einen nach dem anderen. »Geschäftsreise nach Danzig, 1992, Paulina. – Rom, 1988, Beatrice. – Schlosshotel Vier Jahreszeiten, Grunewald, 1989, Sophia. Die Geburt von Maximilian, 1986.« Sie ließ die Hand sinken.
Ich schwieg einen Moment. Ihr Geständnis war überraschend. »Sie haben noch einen Sohn?«, fragte ich.
»Ich nicht«, antwortete sie. Sie hob die Hand. »Alle diese Ringe. Und er glaubt bis heute, ich wüsste nichts davon.«
Ein Streichquartett ganz in der Nähe spielte Mozart. In den Bäumen sangen die Vögel, bengalische Fackeln erleuchteten den Park. Auftakt eines Sommerfestes. Sie lächelte wehmütig. »Da, nehmen Sie.«
Unter großen Mühen zog sie den Ring vom Finger und legte ihn mir in die Hand. Er war warm und
Weitere Kostenlose Bücher