Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen
als ich bei Sigrun eingezogen war, und ich hatte es immer nur im Vorübergehen bemerkt. Selten, dass ich einmal die Stufen heruntergestiegen und mir die Auslage angesehen hatte. Ich interessierte mich einfach nicht dafür.
Es war noch Zeit bis acht Uhr, und es lag nur zwei Straßenecken vom Tennisclub entfernt.
M. Ducasse. Auktionen/Verkauf stand an der Tür. Ich betrachtete die Auslage. Einige Schmuckstücke, auf Samt gebettet, vermutlich Jugendstil. Daneben mehrere Radierungen eines Künstlers, der sich darauf spezialisiert hatte, hässliche nackte Menschen in unnatürlichen Verrenkungen zu malen. Ein Plakat wies auf die nächste Versteigerung hin und rief zu Einlieferungen auf. M. Ducasse, Sachverständige. Schätzungen und Herkunftsnachweise.
Hinter der Tür aus Sicherheitsglas stand ein Wachmann und ließ mich nicht aus den Augen. Er war entschieden besser gekleidet als ich. Mein Anzug musste in die Reinigung. Dringend.
Ich klingelte. Es dauerte mehrere Sekunden, bis der Mann sich
aus seiner abwartenden Haltung löste und sich entschied, mir zu öffnen.
Grußlos ging ich an ihm vorbei zu einer Frau unbestimmbaren Alters, die sich gerade hinter einem Wurzelholztresen langweilte. Sie sah von einem Katalog hoch und schlug ihn, als sie mich sah, zu. Alles an ihr wirkte mit Sorgfalt gepflegt. Ihre klassischen Züge waren perfekt geschminkt, die blütenweiße Bluse saß faltenfrei und war genau so tief geknöpft, dass man den gewölbten Ansatz ihres Busens erahnen konnte. Sie trug, bis auf zwei winzige Brillantstecker, keinen Schmuck. Als sie mich anlächelte, tat sie es mit einer professionellen Mischung aus Weiblichkeit und Intelligenz.
Ich holte den Ring aus der Tasche und hielt ihn ihr hin. »Was ist der wert?«, fragte ich.
Sie nahm ein samtbeschlagenes Tablett unter dem Tresen hervor und legte den Ring vorsichtig darauf. Dann schlug sie ihre sanft blondierten, glatten Haare nach hinten und betrachtete ihn näher.
»Eine schöne Arbeit«, sagte sie schließlich. »Aber Liz Taylor kriegen Sie damit nicht.«
Jetzt lächelte sie anders, und das machte sie mir auf Anhieb sympathisch.
»Ankauf oder Verkauf?«
»Ankauf«, erwiderte ich.
Sie runzelte die Stirn. »Wir führen diese Art Schmuck nicht. Anfang zwanzigstes Jahrhundert, das ist etwas zu altmodisch für unsere Kundschaft. Vielleicht sollten Sie sich an ein Geschäft wenden, das sich auf Antiquitäten spezialisiert hat.«
»Ist es denn ein Original oder eine Kopie neueren Datums?«
Sie holte eine Lupe heraus und betrachtete den Ring eingehend. »Nach Stempel und Gravur zu schließen, aber auch nach Art der Abnutzung ist es ein Original.«
»Müsste ich dafür zwanzigtausend Euro investieren?«
Sie lachte auf und strich sich eine weitere Strähne hinter das Ohr. »Ich würde sagen, zweitausend wären immer noch überbezahlt. Wenn Sie ihn verkaufen wollten, sieht es noch düsterer aus. Achthundert vielleicht. Kommt darauf an, wie dringend es ist.« Sie sah mich an und fuhr mit ihrer Zungenspitze über die leicht geöffneten Lippen.
Ich bedankte mich. So dringend war es nun auch nicht.
»Warten Sie.«
Sie bückte sich und holte ein kleines Etui hervor. »So können Sie ihn doch nicht transportieren. Sollen wir ihn vielleicht reinigen? Dann sieht er ein bisschen neuer aus.«
»Nicht nötig.«
Sie drückte mir das Etui in die Hand. »Wenn ich sonst noch etwas für Sie tun kann?«
In ihren Augen stand zu lesen, dass sich ihr Entgegenkommen durchaus nicht auf den Verkauf von Uhren und Schmuck beschränken würde.
Ich ließ ihre Hand los.
»Danke. Sie haben mir schon sehr geholfen.«
Der Wachmann hielt mir jetzt die Tür etwas zuvorkommender auf. Ich lächelte ihr noch einmal zu und ging die Stufen zur Straße hinauf. Den Ring verstaute ich wieder in der Jackentasche. Ich würde ihn Verena persönlich zurückgeben.
Den Porsche ließ ich vor der Auffahrt stehen und ging den Kiesweg ziemlich zügig nach oben. Ich wollte, dass mein Herzklopfen davon kam und nicht etwa, weil ich Sigrun gleich gegenüberstehen würde. Ich hatte den Finger bereits auf der Klingel, als ich hinter mir eine Stimme hörte.
»Die Freifrau erwartet Sie.« Walter. Mittlerweile schlich er sich genauso leise an wie seine Brötchengeberin.
Ich drehte mich um. »Das muss ein Irrtum sein. Ich bin nicht …«
»Die Freifrau wartet nicht gerne.« Er auch nicht, das war offensichtlich. Er deutete auf die Kanzleitür. Ich beschloss, Sigrun später zu besuchen und die
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