Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen
das?«
»Yogi-Tee«, antwortete Kevin ungerührt. »Kaulsdorfer Art.«
Ich hätte die Espressomaschine mitnehmen sollen. Ich war einfach zu anständig.
Bis zum Nachmittag hatte ich mich mit dem bemitleidenswerten Schicksal einer Siebzehnjährigen vertraut gemacht, die bereits mit neun Jahren ihren Mitschülern die Zähne herausgeschlagen und ihnen mit elf die Nikes geklaut hatte. Die französische Sängerin von gegenüber hatte währenddessen mehrere Stunden mit ihrer Band geübt und war nicht besser geworden. Es wurde dunkel in dem Zimmer, obwohl die Sonne noch hoch am Himmel stehen musste.
Ich sah zu Kevin hinüber, der sich gerade eine Zigarette drehte. »Das hier ist ein Nichtraucherbüro.«
»Seit wann denn das?«, brummte er. Doch er trollte sich nach draußen, offenbar gar nicht mal so unfroh über die Pause.
Mein Handy klingelte. Sigrun. »Kannst du heute Abend?«
»Wann?«
»Komm einfach vorbei. Ich bin ab acht zu Hause.«
»Und deine Termine?«
Pause. »Ich brauche mal einen freien Abend. Ich habe alle abgesagt.«
Ich hoffte inständig, dass sie nicht auf eine Versöhnung spekulierte.
Ich wollte mit Utz sprechen. Doch statt diesen Punkt zu klären, sagte ich einfach nur: »Okay.«
Ich legte auf.
In diesem Moment kam Marie-Luise herein. »Unser Internet-Verlobter hat sich gerade gemeldet. Milla ist aufgewacht.«
»Und? Hat sie irgendetwas gesagt?«
»Sie kann sich an nichts erinnern.« Sie setzte sich auf Kevins Platz und zündete sich eine Zigarette an.
»Das hier ist ein Nichtraucherbüro«, sagte ich noch einmal.
»Stell dich nicht so an.«
Immerhin stand sie auf und ging zum Fenster, wo sie den Rauch in den Hof pustete, aus dem bereits eine Mischung gutbürgerlicher Berliner Abendessensdüfte aufstieg. Lange würde ich es hier nicht aushalten. Gerüche, unangenehme Gerüche, kamen dem Tatbestand der Körperverletzung ziemlich nahe.
»Den Fall Weinert übernimmt jetzt ein gewisser Harald Baumgarten. Kennst du den?«
Harry hatte zumindest in dieser Beziehung meine Nachfolge angetreten. Ich nickte. »Gegen den kommst du an. Er ist zwar schlau, aber nicht der Hellste.«
»Gegen dich hätte ich wohl keine Chance gehabt?«
»Keine.«
Sie rauchte und druckste ein bisschen herum. »Was war denn deine Strategie?«
»Du erwartest doch nicht, dass ich Geschäftsgeheimnisse ausplaudere.«
»Dann entscheide dich mal, für wen du arbeiten willst. Wir sind Partner. Oder habe ich da was missverstanden?«
»Grober Undank. Erpressung. Eventuell noch mit einer Anzeige der Staatsanwaltschaft.«
Die stand zwar auf äußerst wackeligen Füßen, aber ich hatte eine vage Zusage, den Fall wohlwollend zu prüfen. Der Staatsanwalt war eine Staatsanwältin. Jung, ledig, neu in der Stadt. Ich
hatte versprochen, ihr das Berliner Nachtleben zu zeigen. Marie-Luise schien irgendetwas in dieser Richtung zu ahnen.
»Schön ausgedacht. Doch nicht etwa unter körperlichem Einsatz? «
»Niemals. Du kennst mich.«
»Eben.«
Sie sah wieder in den Hof. »Wie lange dauert es eigentlich, bis jemand mit so einer Verletzung vernehmungsfähig ist?«
»Keine Ahnung.«
»Wenn sie sich erinnern könnte, hätten wir die erste anständige Zeugenaussage.«
»Zwischen sich erinnern können und tatsächlich etwas gesehen zu haben ist manchmal ein ziemlich großer Unterschied.«
»Das weiß ich auch.« Sie schnippte die Asche aus dem Fenster, ohne darauf zu achten, ob da unten gerade jemand sein Fahrrad abschloss oder einen Kinderwagen abgestellt hatte. Im praktischen Leben waren die größten Freunde der Menschheit oft auch die Rücksichtslosesten, was ihre ganz persönliche Freiheit anging.
»Hast du Hunger? Wir könnten was essen gehen.«
»Bedaure.« Ich stand auf und griff nach meiner Anzugjacke. Neben der Espressomaschine stand als nächste Anschaffung eine Garderobenleiste sowie mehrere gute Kleiderbügel fest.
»Ich muss noch in den Tennisclub. Anschließend habe ich einen Termin. Privat.«
»Mmmmh«, meinte sie ironisch. »Der Tennisclub, und auch noch was Privates. Dann werde ich mir wohl was in der Mikrowelle warm machen und mich um die Echtheit deiner so genannten Erpressungsdokumente kümmern.«
Ich lief die Treppen hinunter und versuchte, nicht zu tief zu atmen. Jemand im ersten Stock versuchte sich gerade an Kohlrouladen. Schon von weitem kam mir irgendetwas an meinem Porsche seltsam vor. Als ich näher kam, sah ich es: Die Scheibe
der Beifahrertür war eingeschlagen. Ich lief einmal um den Wagen herum,
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