Das kleine Reiseandenken
nehmen und sie praktisch zu adoptieren – so etwas bringt niemand anderes fertig als Inge Skovsgaard. Junges Fräulein, kleines Reiseandenken – weißt du, was du für ein Glück gehabt hast? Du hast von den mehr als einer Million Einwohnern Kopenhagens genau diejenige getroffen, die du einzig und allein brauchen konntest – und die dich braucht!“
„Ja – denn du glaubst doch nicht etwa, daß alle Dänen so sind wie Inge?“ fügte Frau Hall hinzu.
Da blickte Ingrid lachend von dem einen zum andern. Sie wußte selbst nicht, daß es die leichte, selbstverständliche Herzlichkeit, die Heiterkeit dieser Menschen war, die sie sagen ließen: „Doch, bis jetzt glaube ich es.“ Auch ihre Stimme verriet, wie sehr sie von der Fröhlichkeit der andern angesteckt war.
Gut, daß Ingrid nicht verstand, was Frau Hall beim Abschied sagte: „Was für ein entzückendes Mädchen, Inge! So reizend und fein und wohlerzogen. Und im Grunde macht sie einen heiteren Eindruck, obgleich sie nicht viel sagt. Möcht gern wissen, wie die ist, die Frau, bei der sie leben soll?“
Inge antwortete mit gedämpfter Stimme. Und daß Ingrid das nicht verstand – ja, das war noch besser.
Aber so viel schnappte sie doch auf, daß sie am Sonntag zusammen mit Inge zu den Halls und ihren zwei Töchtern eingeladen war. Sie mußten mit der S-Bahn hinfahren, denn die Familie Hall wohnte außerhalb der Stadt.
Du liebe Güte, was war sie doch für ein Glückspilz!
„Herrliches, herrliches Kopenhagen…“
Die beiden Wochen, die jetzt folgten, wurden für Ingrid eine einzige Kette froher Erlebnisse. Allerdings erhielt Inge von einer Firma einen großen Auftrag auf Reklamebilder, so daß sie sehr viel zu tun hatte. Ingrid bekam dadurch ebenfalls viel Arbeit. Aber das machte ihr nur Freude. Sie besorgte die Einkäufe und führte Dixi aus, sie wischte den Fußboden auf, sie bereitete das Essen und spülte das Geschirr. Alles machte Spaß, und immer dankte ihr Inge von Herzen und sagte, sie könnte sich gar nicht vorstellen, wie sie jemals wieder allein fertig werden sollte. Ingrid sei ihre gute kleine Fee, das vernünftigste Reiseandenken, das sie jemals mit nach Haus gebracht hätte.
Ingrid mußte es sich gefallen lassen, daß sie von nun an Reiseandenken genannt wurde, und sie nahm es mit Humor. Das Ehepaar Hall nannte sie nie anders. Ja, sogar Halls jüngste Tochter Merete, ein kleiner Krümel von fünf Jahren mit weißblonden Locken, rief: „Andenken, komm her, ich will dir meine jungen Kätzchen zeigen.“
Der Tag draußen bei Halls war ganz herrlich. Die fünfzehnjährigeTochter Lise hatte Deutsch in der Schule und gab sich redliche Mühe, mit Ingrid deutsch zu sprechen. Und Ingrid pickte eifrig dänische Brocken auf wie ein Sperling die Körner.
Beim Mittagessen fragte Lise plötzlich, ob Ingrid schon im Tivoli gewesen sei.
„Noch nicht“, mußte Ingrid gestehen, „aber Inge hat mir versprochen…“
„Können wir nicht heute abend hingehen? Alle miteinander?“ - bat Lise.
„Doch, das ist ein guter Gedanke!“ rief Frau Hall. „Natürlich tun wir das. Wir müssen nur vorher Merete ins Bett bringen und darauf achten, daß sie nicht die ganze Katzenfamilie mit unter die Bettdeckte nimmt.“
Tivoli – Ingrid ahnte nicht, was das war. Sie war ein paarmal in der Stadt gewesen und hatte die großen Eingangstore mit dem Wort Tivoli darüber gesehen. Wenn sie fragte, lächelte Inge immer und sagte: „Wart nur, du wirst schon sehen!“
Nun war wirklich der Augenblick gekommen, daß sie durch den Zählapparat am Eingang des Tivoli gehen durfte.
Sie blieb mit offenem Munde stehen.
„Was ist denn das? Ist das – ist das eine ganze Stadt für sich oder…“
Alleen mit elektrischen Lampen in allen Farben des Regenbogens zogen sich durch den Garten. Ein Märchenschloß mit Rundbögen und Spitzen, über und über mit bunten Lampen besteckt. Springbrunnen, die rot und blau und grün funkelten. Hier ein großes Haus aus lauter Glas, in dem ein Orchester gerade ein Konzert gab. Dort eine Bühne im Freien mit einem wunderbaren Vorhang, der einen Pfau mit auseinandergeschlagenem, buntschillerndem Rad darstellte. Ingrid stand wie gebannt.
„Wenn schon, denn schon!“ sagte Herr Hall. „Lise, hier hast du Geld. Jetzt nimmst du Ingrid zu allem mit, wozu sie Lust hat, und dann treffen wir uns um zehn Uhr in der Pagode. Seid pünktlich, und nun viel Vergnügen!“
Die Mädchen blieben vor dem Pantomimentheater stehen. Gerade
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