Das kleine Reiseandenken
jetzt klappte der Pfauenschweif langsam zusammen. Der Vogel versank, und auf die Bühne hinaus tanzte ein schlanker Jüngling in buntem, enganliegendem Anzug. Eine zierliche Mädchengestalt im Tüllrock schwebte vor ihm her und lockte ihn. Sobald er versuchte, sie zu haschen, entglitt sie ihm. Da polterte aus der Seitenkulisse eine klobige Gestalt heraus in weißem Anzug mit mehlweißem Gesicht und ohne Haare, mit einem Mund, der von einem Ohr zum andern reichte. „Was ist das?“ fragte Ingrid atemlos.
Lise lachte: „Na, Harlekin und Columbine und unser Pierrot. Komm, wir schauen uns das an.“
Ingrid hatte noch nie ein Ballett tanzen gesehen. Sie war wie verzaubert.
Als das kleine Stück zu Ende war, gingen die Mädchen weiter.
Die Erwachsenen hatten sich inzwischen im Restaurant der Pagode, die wie ein chinesischer Turm gebaut war, einen Platz gesucht.
Vom anderen Ende der Märchenstadt hörte man Karussellmusik und das Summen und Surren der Maschinerie, die alle Karussells, die Berg- und Talbahn und die vielen Lichter in Gang hielt.
Die Mädchen fuhren Karussell, jedes auf seinem riesengroßen dicken Schaukelpferd. Sie fuhren mit der Achterbahn, so daß es ihnen im Bauch kitzelte und sie vor Wonne schrien. Sie fuhren mit dem Boot auf einem schmalen Kanal durch ein erleuchtetes Märchenland. Sie schossen mit Pfeil und Bogen nach Gegenständen, Ingrid traf sogar einmal und gewann einen kleinen Teddy. Lise war voll Bewunderung, und Ingrid erzählte, daß die Nachbarsöhne daheim ihr das Schießen mit Pfeil und Bogen beigebracht hätten.
Sie gingen ins Spiegelkabinett und lachten Tränen. Denn in den verrückten Spiegeln waren sie bald lang und dünn wie Bohnenstangen, bald winzigklein und dick wie kleine Kugeln. In einer Bude aßen sie Apfelplatzen, und Ingrid wunderte sich, daß Schmalzplatzen hier Apfelplatzen hießen, obwohl keine Spur von Apfel drin war. Lise erzählte ihr, daß ursprünglich sicher Äpfel in dem Teiggewesen wären, aber mit der Zeit habe man immer mehr Teig genommen und immer weniger Äpfel, bis davon nichts weiter übrig blieb als der Name. Das fand Ingrid so komisch, daß sie wieder lachen mußte. Noch nie in ihrem Leben hatte sie so viel gelacht wie an diesem Abend!
Dann kamen sie zu dem großen freien Platz und sahen sich die Akrobaten an, die viele Meter oben in der Luft an Trapezen schwebten und dort halsbrecherische Kunststücke vollführten. Ingrid wagte nicht zu atmen und biß sich in die Finger vor lauter Gruseln und Spannung.
Es war das Märchenhafteste, was sie je erlebt hatte!
Überall um sie herum summte es von fröhlichen Stimmen, von fremden Sprachen.
„Wir haben immer viele Touristen in Kopenhagen“, erklärte Lise. „Hier kannst du Menschen aus allen Ländern der Welt treffen, von den Eskimos bis zu den Chinesen!“
Eskimos sahen sie nun freilich nicht. Aber als sie zum zweitenmal mit der Achterbahn fuhren und Ingrid gerade Lise etwas zurief, fühlte sie plötzlich einen leichten Schlag auf der Schulter: „Hallo,Landsmännin! So jung und auch schon auf Vergnügungsreise im fröhlichen Kopenhagen!“
Ingrid drehte sich um und sah in ein junges, lachendes Männergesicht.
Sie lachte zurück, und es erging ihr wie vielen, die im Ausland reisen: man begegnet einem Landsmann und meint, man habe ihn schon immer gekannt.
Sie wechselte ein paar Worte mit dem jungen Mann und fand es herrlich, ihre eigene Sprache wieder zu hören und richtig gesprochen zu hören. Das Deutsch, das man in den letzten Tagen mit ihr gesprochen hatte, war mehr oder weniger ein Radebrechen gewesen. Sogar Inge, die eigentlich viel Deutsch konnte, leistete sich manchmal die merkwürdigsten Wendungen. Noch an diesem Morgen hatte sie gesagt: „Hol mich ein Gabel aus die Schublade“, und Ingrid hatte sie lachend verbessert.
„Es ist zehn Uhr!“ sagte Lise plötzlich. „Jetzt müssen wir in die Pagode gehen.“
Ingrid hatte keine Ahnung mehr, wo die Pagode war – sie konnte es nicht fassen, daß Lise sich so schnell und sicher zwischen Schießbuden und Zuckerbuden, Karussells und kleinen Kaffees zurechtfand. Aber Lise war offenbar auf sehr vertrautem Boden.
In der Pagode fanden sie Inge und Lises Eltern, und hier bekamen sie Kuchen und Limonade, so viel sie wollten.
Ingrid mußte sich in den Arm kneifen. Nie war es ihr im Traum eingefallen, daß sie ein so wirkliches Märchen erleben könnte, viel strahlender als in irgendeinem Buch.
„Wir müssen bis um zwölf Uhr aushalten“,
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