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Das kleine Reiseandenken

Das kleine Reiseandenken

Titel: Das kleine Reiseandenken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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sagte Frau Hall. „Ingrid muß das Feuerwerk sehen.“
    Sie gingen alle zusammen auf den großen Platz hinaus, weiter an den Springbrunnen und glänzend erleuchteten Fassaden entlang. Auf den Wegen rings um die Wasserkünste, auf den offenen Plätzen wimmelte es von Menschen. Auf einer Tribüne spielte ein Orchester.
    Mit einemmal war es, als glätteten sich die Wogen des Menschenmeeres. Alle standen still. Alle lauschten. Und in schwingenden,wogenden Rhythmen flutete der große Schlager über das Menschenmeer hinweg: „Wonderful, wonderful Copenhagen…“
    Die Menschen wurden von dem Rhythmus erfaßt und wiegten sich mit. Sie standen in Reihen, in Gruppen, mit lächelnden Gesichtern, die Köpfe gingen hin und her. Lise hielt Ingrid im Arm, und mit heller Stimme sang die den dänischen Kehrreim mit: „Dejlige, dejlige Kabenhavn…“
    Immer mehr Leute stimmten ein. Es wiegte sich und tönte, die Luft war erfüllt von jubelndem Singsang.
    Wonderful, wonderful Copenhagen… „Sing mit, Ingrid!“ rief Lise.
    Da war wieder der Kehrreim. Und mit einemmal hatte Ingrid keine Hemmungen mehr, sie war nicht mehr Ausländerin, nicht mehr ein kleiner, scheuer, fremder Vogel. Sie gehörte zu den vielen fröhlichen jungen Menschen, die das Tivoli so gastlich aufgenommen hatte, um ihnen einen unvergeßlichen Abend zu bereiten.
    Ingrid sang in ihrer eigenen Sprache mit: „Herrliches, herrliches, Kopenhagen…“
    Eine Männerstimme dicht neben ihr griff den deutschen Text auf. Sie wandte sofort den Kopf. Es war der Deutsche von der Achterbahn.
    Ein Arm wurde in den ihren geschoben, eine Stimme sang mit: „Oh la belle, oh la belle Copenhague…“
    Dicht hinter ihr stand ein junges Paar mit kleinen schwedischen Flaggen auf den Rockaufschlägen: „Härliga, härliga Köpen-havn…“
    Es war Frühling. Sie waren jung, sie waren glücklich. Sie gehörten den verschiedensten Nationen an, aber sie fanden einander in der einfachsten, der natürlichsten, menschlichsten Weise, in ihrer jungen Lebensfreude.
    Jetzt standen alle Arm in Arm. Skandinavier, Deutsche, Engländer, Franzosen. Ihre Köpfe wiegten sich im selben Rhythmus, die Worte, die sie sangen, waren die gleichen.
    Herrliches, herrliches Kopenhagen…
    In den verschiedenen Sprachen stieg das Lied zum blauen Frühlingshimmel auf. Eine Huldigung an diese Stadt, die sie zusammengeführt, die alle Schranken und Vorurteile genommen und die Lebensfreude über sie ausgeschüttet hatte für einige goldene Stunden. Dann schwieg die Musik. Plötzlich zischte eine Rakete zum Himmel auf, platzte auseinander und fiel als ein goldener Sternenregen auf die kleine Ingrid, auf Lise, auf Hunderte und Tausende von jungen Menschen herab, die einander zugetan waren, die Freunde waren und sich zusammengehörig fühlten, weil sie einen sorglosen Abend miteinander verlebt hatten, eine leuchtende Unterbrechung ihres Alltags – das lebendig gewordene Märchen mitten im Herzen einer großen Stadt.

Staub und Finsternis
     
     
    „So, Ingrid. Jetzt kannst du kommen und es dir anschauen.“ Ingrid schob vorsichtig Dixi von ihrem Schoß und erhob sich von ihrem Sessel, auf dem sie die ganze letzte Stunde mucksmäuschenstill gesessen hatte. Sie stellte sich neben Inge vor die Staffelei.
    „Na? Du sagst ja gar nichts?“ Inge sah sie fragend an.
    „Es… es ist so gut, Inge. Es ist so… so…“
    „Sag ruhig, daß es hübsch ist. Denn das ist es!“
    „Ich kann doch nicht von mir selber sagen, daß ich hübsch bin.“
    „Weshalb denn nicht? Du bist gesund, und du mußt deinem Schöpfer dankbar sein, daß er dir Gesundheit mit in die Wiege gelegt hat. Du hast gute Augen, die hat der liebe Gott dir gegeben. Du siehst hübsch aus, das ist auch ein Geschenk von Gott. Das fehlte noch, daß du nicht zugeben willst, wie gut der liebe Gott gegen dich gewesen ist.“
    Ingrid hörte aufmerksam zu. Was Inge sagte, war richtig. Aber trotzdem – man konnte doch nicht hingehen und von sich selbst sagen, man sei hübsch…
    „Das Bild ist jedenfalls wunderhübsch, Inge. Wunderwunderhübsch.“
    „Wart nur, bis es fertig ist. Dein Frätzchen ist ja erst ganz leicht skizziert, aber ich werde es schon schaffen. Du bist ein gesegnetes Modell, Ingrid. Möcht wirklich wissen, ob ich so weit komme, daß ich die Kohlezeichnung fertig kriege, bis Tante Agate sich meldet!“
    Inge hatte eine Kohlezeichnung von Ingrid begonnen, wie sie über eine Näharbeit gebeugt saß, genauer gesagt, einen von ihren eigenen

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