Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)
brechen erst auf, wenn du genug gespart hast, denn man sollte sich nur mit ausreichend Proviant in ein solches Abenteuer begeben.« »Afrika! Pazifik!«, gröhlen sie den Rest der Nacht und beruhigen sich erst, als die Sonne den östlichen Horizont in Brand steckt.
Wenige Tage später wird Urgroßvater von einem Immobilienmakler als Assistent eingestellt und scheint für diese Tätigkeit wie geschaffen zu sein. Das kommt von seiner Beredsamkeit, seiner Überzeugungskraft und einer gehörigen Portion Unverschämtheit. Bald hat er seinen eigenen Arbeitsbereich und inseriert in den Tageszeitungen:
Größtes Angebot und reichhaltigste Auswahl
an Immobilien, Baugrundstücken, Häusern
(besonders in Reykjavik)
und Grundbesitz in sämtlichen Landesteilen
(vor allem im Süd- und im Westland).
Nicht selten trinkt er mit Gisli ein Bier, sie machen im Hotel Island eine Flasche Whisky nieder – dem dazu geeignetsten Haus des Landes – und beenden die Nacht mit dem Kriegsruf des Lebens: Afrika! Pazifik!
Der Aufbruch lässt allerdings auf sich warten. Gisli heiratet, und Urgroßvater wird vom Einerlei des Alltags gefangen gehalten.
Ein Giebelzimmer in der Vesturgata
Wie andere Immobilienmakler gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts und zu Beginn des zwanzigsten profitiert auch Urgroßvater manchmal vom Unglück anderer. Er kauft Menschen, die in Schwierigkeiten geraten sind, Wohnungen oder Häuser ab und verkauft sie wieder mit gutem bis anrüchigem Gewinn. Aber das stört ihn nicht sonderlich; er genießt es, zu den vornehmeren Einwohnern der Stadt gerechnet zu werden und hochgewachsen und schlank in einem Cut einherzustolzieren, wobei seine zierlichen, wohlgepflegten Hände einen Stock mit Silberknauf kreisen lassen. Dazu trägt er eine Lorgnette und auf dem dichten, fast schwarzen Haar einen Hut aus Tweed. Doch trotz bester Vorsätze fällt es ihm schwer, die Rolle des ehrbaren Bürgers zu spielen. Dem steht so manches entgegen. Ich nehme nur sein Zuhause als Beispiel. Ein Mann in seiner Position sollte im Besitz einer eigenen Wohnung mit gediegenen Möbeln sein; Urgroßvater aber mietet bloß ein – wenn auch geräumiges – Giebelzimmer in der Vesturgata beim Hafen. Einmal gibt er allerdings dem Druck seiner Umgebung und seiner Kundschaft nach und kauft tatsächlich eine kleine Wohnung in der Bergstadastrati auf dem Hügel der Wohlhabenden, stattet sie mit passenden Möbeln, Bücherregalen und einem Klavier aus. Dann gehen ein paar Wochen ins Land, und jede Nacht träumt Uropa, er liege in großer Tiefe auf dem Grund des Faxafloi, die Wohnung wie ein riesiges Senkblei an sein rechtes Bein gebunden. Bleiche Fische knabbern von seinem Gebein. Mit Anbruch der siebten Woche gibt er auf, verkauft die Wohnung, packt die Bücher in Kartons und zieht zurück in seine Dachkammer.
2
Spielzeugsoldaten sind klein und brauchen wenig Schlaf. Meist schlafen sie erst gegen Morgen ein, wenn die Berge aus der Nacht hervortreten und in der Dämmerung bläulich schimmern. Dann erwache ich, setze mich im Bett auf, schaue vor mich hin und lausche auf Füße, die draußen im Wohnzimmer über den Teppichboden gleiten. Zum Glück brauchen Spielzeugsoldaten kaum mehr als eine Viertelstunde Schlaf, manchmal reicht es sogar, dass ich intensiv an sie denke, und schon wachen sie auf, vergessen ihre internen Streitigkeiten, sammeln sich um mich, richten die Läufe ihrer Waffen auf die Tür, und wir warten, bis nichts mehr zu hören ist, außer dem Schlagen unserer Herzen. Wenn ich schon eine Weile wach bin, klingelt drinnen bei Papa der Wecker; so laut und plötzlich, dass es sich wie eine Explosion anhört. Vater wirft sich herum, schlägt auf der Suche nach dem Wecker in sämtliche Richtungen um sich, und das mit einer Miene, als ob man ihn vom Dach unseres Blocks stürzen wolle. Oft stehe ich in der geöffneten Tür und sehe mir das an. Bemerkenswert, wie sich ruhiger Schlaf in Sekundenschnelle in verzweifeltes Erwachen verwandeln kann. Ein paar Minuten später geht Vater aufs Klo. Dann ist er schon dabei, zu einem Maurer mit einem weißen Trabbi mit rotem Dach zu werden.
Das Durcheinander in meinem Kopf
So war es früher: Papa, ich und die Spielzeugsoldaten, die sich in britische und deutsche Streitkräfte teilten, die Letzteren zahlenmäßig deutlich unterlegen. Das alles änderte sich an jenem Frühlingsmorgen, an dem die Frau aus dem Schlafzimmer meines Vaters kam und in die Küche ging. Ich sitze im Wohnzimmer auf dem Fußboden,
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