Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)
der Spüle. Ich düse ins Wohnzimmer, organisiere die Reste der deutschen Wehrmacht zu einer frischen und kühnen
Partisanentruppe um und mache mich, die bitteren Vorwürfe der Engländer wie eine dichte Schneewolke im Rücken, aus dem Staub: »Willst du uns hier an so ausgesetzter Stelle ohne Deckung zurücklassen? Was machen wir, wenn diese Frau kommt? Ihr Schweigen ist wie eine Zeitbombe in unseren Köpfen. Sie respektiert uns sicher nicht. Sie glaubt bestimmt, wir wären nur ein paar lächerliche Spielzeugsoldaten. Sie …«
Ich achte nicht darauf, sehe zu, dass ich nach draußen komme, die Treppen hinab, durch die Haustür, und dann nimmt mich der Tag in Empfang. Er ist größer, als ich ihn mir vorstellen konnte.
Ich gehe den Block entlang, durchquere die Baumreihe, die den ganzen Hang hinabführt und in der Ferne verschwindet. Ich stehe da und sehe Autos die Miklabraut entlangfahren. Es sind viele. Da ist ein Moskwitsch, da ein Volvo und da sind zwei amerikanische Straßenkreuzer, so groß und breit, dass der Trabant in ihren Kofferraum passen würde. Ich beobachte sie lange. Ich denke nach. Ich versuche Worte für das Durcheinander in meinem Kopf zu finden.
Als wenn jemand sie verloren hätte
So ist es seitdem: Statt dass die Uhr die Zeit zerstückelt und Papa sich im Bett räkelt, kommt die Frau aus dem Zimmer, kocht Hafergrütze, und dann erst fängt Vater an, sich im Bett zu rühren.
Ich weiß nicht, wo sie herkommt, aber sie muss wohl in einem Moment drinnen bei Papa erschienen sein, der zwischen dem Einschlafen der Soldaten und meinem Aufwachen lag; darum haben wir keinerlei Verdacht geschöpft, deshalb hat sie eingeschlagen wie der Blitz und daher glauben wir, dass sie ein Ungeheuer oder ein Trollweib ist. Nein, ich habe keine Ahnung, woher sie gekommen ist, weiß nur, dass sie jetzt da ist, dass Hafergrütze eklig schmeckt, dass sie Vater die Butterbrote schmiert und dass das Essen, das sie abends kocht, sehr anders ist als das, was Vater und ich das letzte Jahr über gegessen haben – offen gestanden sogar anders als alles, was ich bisher gegessen habe. Ich unternehme lange Spaziergänge und denke nach. Rede mit niemandem. Doch am dritten Morgen, nachdem die Frau aus dem Schlafzimmer gekommen ist, gehe ich rüber zu Petur. Er wohnt im nächsten Haus, Nummer 56, im Erdgeschoss rechts. Ich suche ihn auf und berichte ihm von der Frau.
»Sie hat einen Gesichtsausdruck, der ist härter als der vom fiesen Frikki«, erkläre ich.
Petur ist ein Jahr jünger, schmaler und kleiner als ich. Man sieht auf den ersten Blick, dass ich älter und viel stärker bin. Wenn wir nebeneinander stehen, bin ich größer und breiter in den Schultern. Glücklicherweise sieht man nicht, dass Petur eine ganze Menge mehr weiß als ich. Er kann völlig unvermittelt herausplatzen: »Kolumbus entdeckte Amerika im Jahr 1492. Hast du das gewusst?«
Entweder schweigt man dazu oder tritt ihm kräftig vors Schienbein. Man weiß vermutlich noch, dass Amerika jenseits des Ozeans liegt, der im Schulatlas Atlantik heißt. Man weiß, dass in Amerika Indianer leben, die manchmal »Jippyjeh!« rufen und sich unheimlich leise anschleichen können, aber ich hatte keine Ahnung, dass sie verloren gegangen waren, bis dieser Kolumbus sie wiedergefunden hat. Das lässt einen ja fast traurig werden, muss doch schlimm sein, so verloren zu gehen. Die Indianer haben sich gefürchtet; gut von diesem Kolumbus, sie wiederzufinden. Diesmal aber bringt mich Petur mit seinem Wissen nicht aus dem Konzept. Diesmal ist er deutlich ein Jahr jünger, er staunt und sieht mich fragend an. Er bittet mich, alles noch einmal von Anfang an zu erzählen. Ich tu’s und senke die Stimme, als ich in dem langen, dunklen Flur vor Peturs Zimmer ein geblümtes Kleid auftauchen sehe. Es ist seine Mutter. Sie trägt immer geblümte Kleider und macht meist ein sorgenvolles Gesicht. Peturs Vater ist kein Maurer; ich weiß eigentlich nicht so recht, was er ist. Jedenfalls steigt er jeden Morgen in einer blauen Kordjacke mit einer dünnen Tasche unter dem Arm in ein uraltes Auto, sein Haar ist wie eine graue Wolke, aus der Schnee auf seine blauen Schultern rieselt.
Ich senke die Stimme noch mehr und sage zu Petur: »Du bist noch zu klein. Es gibt so vieles, was du nicht verstehst.« Und ich erzähle noch mehr von der Frau. Ich rede und rede und gestikuliere.
Dann gehen wir zu mir.
Petur sagt, in der Tschechoslowakei werde viel Kohle abgebaut. Er sagt, es gebe eine Stadt
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