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Das Knochenhaus

Das Knochenhaus

Titel: Das Knochenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Lawhead
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ihnen zu, als wollte er sie verscheuchen. »Seine Gnade und sein Friede mögen Sie stets begleiten!«
    Doch diese Worte gingen unter im Heulen des Sturmes, der plötzlich über das uralte Pflaster hinwegfegte. Die Welt um Kit, Mina und Giles herum wurde verschwommen und war nur noch vage durch eine Wand aus Staub und körnigem Sand sichtbar ... Das Nächste, was Kit bemerkte, war ein prasselnder Regen, der ihm ins Gesicht schlug. Seine Kleidung schlackerte um seine Extremitäten in einem stürmischen Wind, der im Unterschied zu den früheren Erfahrungen nicht kurzerhand bei ihrer Ankunft verschwand.
    »Ich glaube, wir sind inmitten eines Hurrikans gelandet!«, schrie er in dem Bemühen, trotz des Krachens und Brüllens gehört zu werden.
    »Was?« Die Stimme von Wilhelmina schien meilenweit weg zu sein, obwohl sie selbst nur wenige Fuß entfernt sein musste.
    »Dieser Sturm!«, rief er. »Wir sind mitten in ihm drin!«
    »Es stürmt hier immer!«, schrie sie. Endlich tauchte sie aus dem peitschenden Wind auf. »Das hört hier nie auf!«
    »Nie?«
    »Niemals.« Mühsam beugte sie ihr nasses Gesicht ihm zu. »Zumindest nicht, dass ich wüsste.«
    »Du bist schon früher hier gewesen?«
    »Viele Male.«
    Er spürte, wie sie mit ihrer Hand seinen Arm ergriff.
    »Hier entlang. Bleib bei mir.« Sie wandte den Kopf um und brüllte über die Schulter: »Giles! Seid Ihr noch bei uns?«
    »Hier, Mylady!«, erscholl die Antwort; er musste irgendwo ganz in der Nähe hinter ihnen sein.
    »Haltet meine Hand fest. Ich werde nun bis drei zählen, und dann rennen wir geradeaus. Fertig? Los geht’s ... Eins ... zwei ... drei ... los!«
    Kit folgte der Anweisung und sprintete mit geschlossenen Augen in den Sturm hinein. Einen Augenblick hatte er das Gefühl, als würde ihm das Fleisch von den Knochen gerissen werden, und dann ... Dunkelheit und Schweigen. Er stürzte durch eine Leere – durch ein luftloses Nichts, das so absolut war, dass er zu ersticken glaubte. Würgend rang er nach Luft, doch er konnte keinen Sauerstoff in seine Lungen hineinsaugen.
    Plötzlich fühlte er, wie seine Wange brannte.
    »Atme, Kit!«
    Er öffnete die Augen und sah, dass Wilhelmina mit erhobener Hand vor ihm stand, bereit, noch ein weiteres Mal zuzuschlagen. »Stop!«, keuchte er und stolperte nach hinten. »Hör auf damit! Ich bin okay.«
    Mina wandte sich Giles zu, der ein paar Schritte entfernt auf einem breiten, von Blättern übersäten Pfad kniete. »Seid Ihr in Ordnung?« Als Antwort erhielt sie ein dumpfes Ächzen, woraufhin sie sich entschuldigte: »Tut mir leid, Jungs. Das Schlimmste haben wir hinter uns. Aber dadurch haben wir uns vier weitere Sprünge gespart und eine etwa zweitägige Überlandreise.«
    »Wir tun ja alles für die gute Sache«, erwiderte Kit, der sich immer noch etwas benommen das Wasser von der Kleidung schüttelte. »Ich bin nass bis auf die Haut.«
    »Du wirst wieder trocken werden«, versprach Wilhelmina. »Hast du immer noch die Karte?«
    Kit klopfte leicht auf seinen Bauch, wo sich unter seinem Hemd das Bündel befand. Dann nickte er.
    »Gut.« Mina setzte sich in Bewegung. »Du wirst dich besser fühlen, sobald wir uns wieder bewegen. Das Beste ist, durch Spazierengehen die Feuchtigkeit zu vertreiben. Komm, auf geht’s!«
    Kit kam mühsam der Aufforderung nach. Auch Giles erhob sich und folgte den beiden.
    »Wo sind wir überhaupt?«, fragte Kit und schaute sich um. Sie schienen in einem leicht bewaldeten ländlichen Gebiet zu sein; die Luft war kühl und duftete nach gefallenen Blättern. Er konnte hören, wie Insekten summten, die auf den Zweigen der umstehenden Bäume saßen.
    »Wir sind etwa drei Meilen nördlich von Prag«, antwortete Mina und schritt den Pfad entlang. »Ein bisschen weiter entfernt gibt es eine Straße. Sie verläuft am Fluss entlang und wird uns in die Stadt führen. Wenn wir Glück haben, können wir vielleicht den Rest des Weges per Anhalter fahren.«
    »In welcher Zeit sind wir überhaupt?«, wollte Kit wissen.
    »Nun, wir sind im Jahr 1607 – während der Herrschaft von Kaiser Rudolf II. Wenn wir unser Ziel ganz genau getroffen haben, ist es Anfang September.« Sie schritt auf einen Lorbeerbusch zu, der neben dem Pfad wuchs. »Oder möglicherweise ist es noch August.«
    »Und warum sind wir hierhergekommen?«, fragte Kit.
    »Ich lebe hier«, antwortete sie. »Wir brauchen einen sicheren Platz, um ein paar Tage unterzutauchen, damit wir die Karte studieren und darüber nachdenken können,

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