Das Knochenhaus

sich ein wenig eingehender mit diesem Rätsel zu befassen, doch die Sonne begann genau in diesem Moment aufzugehen: Er wusste, dass er entweder sofort wieder fortgehen oder mindestens einen Tag – vielleicht sogar noch eine längere Zeitspanne – an diesem Ort verbringen musste. Auf Letzteres war er nicht vorbereitet; und deshalb rannte er zum Ley zurück und sprang wieder in seine Heimatwelt, wo er allerdings entsprechend dem Kalender drei Tage später landete.
    Im Laufe der nächsten paar Wochen führte Douglas viele weitere Erkundungsausflüge durch. Mithilfe der Versuch-und-Irrtum-Methode ermittelte er exakt die Entfernungskoordinaten entlang des Leys, die mit dem korrespondierten, was er als Zeitskala der Anderswelt begriff. Schlussendlich gelang es ihm, die Epoche zu lokalisieren, die im Mittelpunkt seiner Suche stand – einen Zeitraum, der durch die Tafel mit dem »Register der Kapläne«, bestätigt wurde, die auf einer Wand der Kirche Saint Mary the Virgin angebracht war.
    Zufrieden darüber, dass er alles, was er nur tun konnte, um sich bestens vorzubereiten, auch ausgeführt hatte, zog Douglas jetzt noch die separate weite Kapuze über und legte sie sich auf den Schultern zurecht. Dann schritt er zum Spiegel und musterte das von ihm reflektierte Bild: Es war das eines gesunden, wohlgenährten Mannes von mittlerer Größe und durchschnittlichem Gewicht, der das gute, zweckdienliche Gewand eines Landpfarrers trug. Die frisch rasierte Tonsur auf seinem Kopf vervollständigte diesen Eindruck. Er lächelte angesichts seines Spiegelbilds.
    »Vorwärts, Snipe!«, befahl er und schritt eilig zur Tür. »Es ist Zeit zu gehen.«
    Sie gingen aus dem Stadthaus und marschierten weiter auf das Zentrum von Oxford zu. Es war direkt vor Tagesanbruch; doch da die beiden sich in einer geschäftigen, modernen Stadt aufhielten, waren bereits ein paar Leute unterwegs. Sie gingen zunächst an einem Milchmann und seinem Maultier vorbei und dann an einigen Studenten in schwarzer Robe, die in Türeingängen schliefen. An der Broad Street trottete ein Lumpensammler mit seinem Handwagen vorüber, und in der Turl Street löschte ein Laternenanzünder mit seiner Stange die letzten Lichter. Falls irgendjemand die merkwürdige Erscheinung von einem Paar mittelalterlicher Mönche hatte, die in flatternden Gewändern auf das Stadtzentrum zugingen, dann zeigte er dies zumindest nicht. An einem Ort wie Oxford, wo Studenten in ihren Seminaren immer noch mittelalterlich anmutende Roben trugen und ihre Professoren bei offiziellen Zusammenkünften die Teilnehmer immer noch auf Latein ansprachen, waren Dinge, die wohl sonst überall als eine höchst bemerkenswerte Kuriosität betrachtet worden wären, einfach zu alltäglich, als dass man ihnen besondere Beachtung geschenkt hätte.
    Die zwei folgten der Turl Street bis zu ihrem Ende und bogen dann in die High Street ein, wo sie die Ley-Linie erreichten, die auf Carfax zulief. Hier blieb Douglas stehen. »Bereit, Snipe?«, fragte er. »Hab keine Angst, und stell dich nicht so an. Du hast so etwas schon früher gemacht. Erinnerst du dich?« Als diese Frage unerwidert blieb, gab Douglas ihm einen leichten Klaps auf die Wange. »Erinnerst du dich?«
    Der mürrische junge Mann schüttelte den Kopf.
    »Gut. Dann festhalten.« Douglas streckte dem Burschen die Hand entgegen, der sie fest packte. »Los geht’s!«
    Sie begannen, sehr schnell durch die Straße zu spazieren, wobei Douglas die Schritte zählte. Als er den bestmöglichen Marschrhythmus erreicht hatte, schaute er nach der Markierung, die er am Fuße von Gills Eisenwarenhandlung – nur wenige Yards von der Ecke entfernt – mit Kreide gezeichnet hatte. Während sie sich der Kreuzung näherten, kam eine Schar Studenten heran, die entweder zur Universität hastete oder von einer nächtlichen Feier zurückkehrte. Douglas’ erste instinktive Reaktion war, sich umzudrehen und zu fliehen – es schien ihm viel zu riskant, seine plötzliche, unerklärbare Dematerialisation in der Öffentlichkeit vor Zeugen stattfinden zu lassen. Er stand kurz davor, den Versuch aufzugeben.
    Dieser Impuls wurde jedoch rasch von einem anderen verdrängt: Was kümmerte es ihn schon, wenn eine Schar übernächtigter angehender Akademiker ein wenig zu sehen bekamen? Was tat das schon, wenn sie darüber redeten? Was für einen Unterschied würde das ausmachen?
    Er sah die Kreidemarkierung und beschleunigte seinen Schritt. Ein Geräusch wie das Heulen einer Todesfee