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Das Knochenhaus

Das Knochenhaus

Titel: Das Knochenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Lawhead
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erreichte sie; es schien durch die obere Atmosphäre herabzufallen. Im selben Moment kam wie aus dem Nichts ein heftiger Wind auf, der einen plötzlichen Regenguss herbeiblies. Die Straße und die Gebäude, der gerade vorbeifahrende Bus und seine Passagiere: Die ganze Welt um die beiden herum wurde nebelhaft und undeutlich. Dann fielen sie durch die Dunkelheit – aber nur für einen Moment, wie der minimale Abstand zwischen einem Herzschlag und dem nächsten –, und anschließend schlugen sie auf festem Erdboden auf.
    Snipe geriet bei der Landung ins Stolpern und stürzte auf Hände und Knie. Seine Lippen formten einen Fluch, der von einem würgenden Geräusch unterbrochen wurde, während sein Magen sich hob. Auch Douglas spürte den aufkommenden Brechreiz. Galle stieg ihm in der Kehle hinauf, doch er schluckte sie wieder herunter. Er widerstand dem Verlangen, die Augen zu schließen, und versuchte, den Blickkontakt zu einigen realen Gegenständen aufrechtzuerhalten. Und so fixierte er mit den Augen den Kirchturm von Saint Martin, der sich wie eine Dolchklinge erhob, die auf das Herz des Himmels wies.
    Das mulmige Gefühl im Magen ging vorüber, und er saugte frische Luft in seine Lungen ein. »Atme, Snipe«, riet er dem immer noch würgenden Jungen neben sich. »Kämpf nicht dagegen an. Es wird vorbeigehen.«
    Rasch sah er sich um. In vergleichsweise kurzer Entfernung bewegten sich zwei Gestalten im Schatten; doch sie waren, wie Douglas glaubte, immer noch zu weit weg, um seine und Snipes Ankunft beobachtet zu haben. Das einzige Lebewesen, das tatsächlich ihre Translokation gesehen haben konnte, war ein dürrer Hund, der ein wenig entfernt mit gesenktem Kopf und gesträubtem Fell auf der Straße stand. Douglas trat einen Schmutzklumpen in seine Richtung, und das Tier lief hastig davon.
    Es herrschte dämmriges Tageslicht – aber war es früher Morgen oder später Abend? Er schaute nach Osten und sah nur Dunkelheit, doch am westlichen Himmel war immer noch ein Lichtschimmer zu erblicken. Also Abenddämmerung. »Steh auf, Snipe!«, befahl er. »Wisch dir den Mund ab. Wir haben’s geschafft. Wir sind da.«
    Der junge Mann rappelte sich auf die Füße; und anschließend gingen die zwei langsam auf die Kirche zu. An der Kreuzung blieb Douglas stehen, um jede Straße dort in beide Richtungen hinunterzublicken und sich zu orientieren. Von der Stadt, die er kannte, war ziemlich viel vorhanden. Dies galt natürlich nur in einem allgemeinen Sinne: Das alte Oxford des Mittelalters war in den Umrissen der modernen Stadt noch erhalten geblieben – und Douglas erkannte das Neue im Alten wieder. Er wusste, wo er war, nun musste er noch herausfinden, in welcher Zeit er sich befand. Das war sein erster Tagesordnungspunkt – das genaue Datum ausfindig zu machen.
    Als die beiden Reisenden schließlich über die Straße eilten, erschien ein Mönch mit einer großen Kerze im Eingang der Kirche. Der Mann entzündete die Fackeln in den Halterungen an jeder Seite der Tür. Als er sich anschließend umdrehte, erblickte er die Fremden und rief ihnen etwas in einer Sprache zu, die, wie Douglas vermutete, irgendein lokaler Dialekt war. Er freilich hatte seine Antwort parat. »Pax vobiscum« , grüßte er, faltete die Hände vor sich und vollführte von der Hüfte an eine leichte Verbeugung. Dann rief er sich seine wohlgeübten Lateinkenntnisse ins Gedächtnis und sagte: »Möge die göttliche Gnade in dieser Nacht Euch beiwohnen, Bruder.«
    Der Mönch antwortete in gleicher Weise. »Friede, Brüder.« Er wandte sich um und wollte sich wieder in die Kirche zurückziehen. »Möge Gott Euch wohlgesinnt sein.«
    »Einen Moment, Bruder!«, rief Douglas und schritt voran. »Wir sind gerade an diesem Ort angekommen und benötigen Auskünfte.«
    Der Mönch drehte sich wieder um und wartete, dass sie näher kamen. »Seid Ihr weit gereist?«, erkundigte er sich. Seine Aussprache des Lateins war gefärbt von seinem breiten, seltsam flach klingenden Dialekt.
    »Weit genug«, antwortete Douglas. »Mir wurde die Pflicht aufgetragen, jemanden zu finden, der als Dr. Mirabilis berühmt ist – einen Geistlichen, wie ich denke, dessen Schriften uns in Wales erreicht haben.«
    Der Mönch rollte seine Augen. »Euch und den ganzen Rest der Welt!«
    »Gehe ich recht in der Annahme, dass er hierorts seinen Wohnsitz hat?«
    »So ist es«, erwiderte der Mönch ohne Begeisterung. »Er hat Kammern in einem der Universitätsgasthäuser. Ich vermag nicht zu sagen,

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