Das Koenigreich der Luefte
Gewissen aber ziemlich hart und hässlich geworden, seit ich es zum letzten Mal bemühte.«
»Keine falsche Bescheidenheit«, sagte der Flüstermann, »dein Gewissen kommt öfter ans Licht als ich. All diese heimlichen Zahlungen an Witwen und Kinder, das Essen für die Bergleute, deren Glieder so verdreht sind wie meine.«
Der Traum erschien viel lebendiger als sonst. Der Reverend sah sich mit unnatürlich klarem Blick in der Kirche um. »Mein Gewissen scheint heute aber sehr gut informiert zu sein, Sir.«
»Mir gefällt dein Verstand, alter Mann. Er ist so still wie der Friedhof, den du pflegst, und hat unter seiner Oberfläche ebenso viele geheime Tunnel.«
»Wir alle haben Geheimnisse«, sagte der Reverend, »und eine Geschichte zu erzählen. Eine steckt doch zum Beispiel hinter deinem Fleisch.«
»Ah, aber meine Geschichte ist im Vergleich zu deiner eine bloße Kurzfassung, alter Mann«, sagte der Flüstermann. »Was gibt es da zu erzählen? Ein Irrnebel stieg auf und legte sich über ein schlafendes Kind, das zur falschen Zeit am falschen Ort war.«
»So begann das Leben der Hälfte aller Sondergardisten.«
»Du solltest dich gelegentlich einmal im Irrenhaus von Hawklam umsehen, alter Mann. Stochere auch einmal wie die anderen neugierigen edlen Damen und Herren von Middlesteel mit einem Stock zwischen den Gittern herum, hinter denen sich die weniger gefährlichen Irrnebler befinden. Dann würdest du sehen, wie die meisten unserer Geschichten enden.«
»Also hast du Verbindung zu dem Jungen.«
»So ist es wohl«, sagte der Flüstermann. »In letzter Zeit hatte ich leichte Schwierigkeiten, in Olivers Träume einzudringen. Seine körperlichen Abwehrkräfte scheinen mich als Bedrohung zu betrachten, seit ich gezwungen war, ihm einen Schluck bitter schmeckende Irrnebelmedizin zu verabreichen.«
»Da hat er aber Glück gehabt.«
»Sag das nicht so, alter Mann. Ich habe nur versucht, ihn in die richtige Richtung zu lenken.«
»Mag sein, aber richtig für wen?«, fragte der Reverend.
»Das klingt etwas heuchlerisch aus deinem Mund, Prediger«, zischte der Flüstermann. »Du hast die Linie zwischen richtig und falsch doch ständig neu gezogen. Oder hast du das vielleicht vergessen? Tagsüber die zirklistischen Gebote, nachts die Maske und das schwarze Pferd. Wer hätte dich denn je verdächtigt?«
»Das Geld ging an jene, die es brauchten«, verteidigte sich der Reverend.
»Ich bin überzeugt, die Kontore und Kaufleute, die du um ihr Gold erleichtertest, dachten, sie brauchten es selbst«, sagte der Flüstermann.
»Sie hatten Unrecht.«
»Denke nicht, ich würde das missbilligen«, fuhr der Flüstermann fort. »Ganz im Gegenteil. Erinnerst du dich daran, wie du die Kiste bekamst, als du ihn halbtot in der Kirche deines alten Vikars entdecktest? Jetzt ist es an der Zeit, sie weiterzugeben.«
»Du meinst den Jungen.«
Die Glieder des Flüstermannes zuckten, aber sein Schweigen sagte mehr als Worte.
»Glaubst du nicht, er ist schon verflucht genug? Erst das wilde Blut, dann wird er aus seinem Zuhause vertrieben und landet in der Gesellschaft dieser beiden Mörder.«
»Es ist an der Zeit, die Kiste weiterzugeben, alter Mann. Es ist an der Zeit, dass er wieder reitet.«
»Ich will das dem Jungen nicht antun«, widersprach der Reverend. »Die letzten beiden Jahrzehnte habe ich zu vergessen versucht, was ich war.«
»Aber du kannst es nicht, oder, alter Mann? Du bist wie einer dieser Weltensänger, der versucht, das Verlangen nach der nächsten Dosis Blütenstaub durch Meditation zu besiegen. Die Kiste ruft nach dir, richtig? Sie singt, dass sie geöffnet wird, damit du dich wieder lebendig fühlen kannst – um wieder die Nacht zu deinem Mantel zu machen und die Unrechten deinen Stiefel spüren zu lassen.«
»Ich werde ihn nie wieder herauslassen«, sagte der Reverend. »Die Verantwortung dafür will ich nicht tragen.«
»Die Verantwortung dafür lag niemals bei dir«, fügte der Flüstermann hinzu.
»Selbst wenn ich es könnte, Harold Stave wird es nicht zulassen.«
»Nun spricht das Wiesel in dir«, bemerkte der missgestaltete Irrnebler. »Stave weiß einiges von dir, aber von der Kiste weiß er nichts. Nach Auffassung des Wolkenrats starb der Kapuzenmann schon vor langer Zeit. Gib Oliver die Kiste. Wenn es für ihn an der Zeit ist, zu reiten, dann wird er es tun.«
»Es ist eine schreckliche Sache, die man keinem anderen wünschen mag.«
»Vielleicht würde er ohne das nicht überleben«, sagte
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