Das Koenigreich der Luefte
seinerzeit ein durchtriebener Fuchs. Hat den Wolfschnappern mehr Schwierigkeiten gemacht als jeder andere in der Geschichte des Wolkenrats.«
»Wieso hat ein Dorfprediger überhaupt je die Aufmerksamkeit des Rats auf sich gelenkt?«, wollte Oliver wissen.
»Es war nicht der Prediger, der uns auffiel«, sagte Harry. »Es war jemand völlig anderes. Aber ich vermute, dieser Mann ist heute tot. Kommt, wir wollen unser Gepäck ablegen.«
Die Kirche des Predigers lag in einer der engen Straßen zwischen langen Häuserzeilen. Oliver hatte sich in die Fensternische gesetzt und reinigte vorsichtig die Seemannspistole, so, wie Harry es ihm gezeigt hatte, während er mit einem halben Auge die allmählich erwachende Stadt beobachtete. Drei Stockwerke unter ihnen war Schichtwechsel in den Gasminen, und kleine Gruppen von Greifern in dreckigen Guttapercha-Mänteln und Gaskapuzen schlurrten nach Hause, während von ihren Gesichtern feierlich die elefantenrüsselähnlichen Atmungsfilter herabbaumelten. Normalerweise wären die Greifer durchaus in der Lage gewesen, ohne Schutzkleidung in den Minen zu arbeiten – das bewiesen ihre eigenen, wie Kaninchenbauten angelegten Städte im Tiefland. Aber das Celgas verbrannte selbst ihre dicke Haut, und daher fuhren sie in steifen Schutzanzügen mit den Dampfaufzügen in die Tiefe und förderten dort mittels ihres Schweißes Jackals’ kostbarstes Gut.
Irgendwo dort, verborgen im Maschinendampf und Steinstaub von Shadowclock, verbargen sich die Antworten. Die Antwort darauf, wieso seine Familie tot in Hundred Locks lag. Die Antwort, weshalb sein Name nun die Aushänge auf den Konstablerwachen schmückte und ihn mit Morden in Verbindung brachte, die er nicht begangen hatte. Die Antwort darauf, wieso bahnbrechende Ereignisse plötzlich Kreise um sein kleines Leben zu ziehen schienen wie betrunkene Tänzer rund um einen Maibaum.
»Es macht nicht den Eindruck, als ob du es gewöhnt seist, diese Arbeit zu machen.« Es war der Reverend. Trotz seiner Jahre ging er so geräuschlos wie eine Katze. Und da war noch etwas anderes, das Oliver irritierend fand: die Art, wie sich der Schatten des Alten manchmal bewegte – schneller, als es seinem Alter entsprach, und überhaupt schien er größer als dessen ganze Gestalt. Als ob er zu jemand anderem gehörte. »Du siehst tatsächlich nicht aus, als würde dir das mehr Spaß machen, als wenn du die Soße von dieser redenden Obszönität herunterwischst, die dein Dampfmannfreund so gut verpackt hält.«
Oliver legte den glänzenden Lauf auf den Lappen. »Ich habe nur einmal damit geschossen – und falls ich das traf, worauf ich zielte, dann war es reiner Zufall.«
»Hab ich mir schon gedacht. Wie alt bist du, mein Sohn? Du siehst aus, als solltest du erst einmal deine Schule beenden und nicht hinter einem Kerl wie Harold Stave herlaufen, einem Wilderer, der sich zum Wildhüter aufgeschwungen hat.«
Oliver kratzte ein Muster in den Ruß am Fenster. »Ich wurde aus der Schule geworfen, als ich in die Registratur des Bezirks eingetragen wurde.«
»Ah.« Der Reverend nickte. »Dann rinnt also ein bisschen wildes Blut durch deine Adern, was? Das ist ja wirklich übel. Hier in dieser Gegend bekommen wir den Nebel nur ganz selten. Verträgt sich wohl nicht gut mit den Strömen des Erdenflusses und dem Gas, auf dem wir hier sitzen. Hier in Shadowclock stirbt man eher an schwarzer Lunge oder Tunnelfäule, bevor einem der Irrnebel in den Hals fährt.«
»Ist das der Grund, weshalb Sie hierbleiben?«, fragte Oliver.
»Ich gehe dorthin, wo ich gebraucht werde, Pilger«, verkündete der Reverend. »Inzwischen habe ich auch ein Lebensalter zu viel auf dem Buckel, um mich noch vor dem Nebel zu fürchten. Zu alt, um die Veränderungen zu überleben, wenn es mich erwischte. Davon abgesehen – an irgendwas muss man schließlich sterben.«
»Sie werden hier gebraucht, um die Bergleute mit Jinn zu versorgen?«
»Aus dir spricht der Söldnereinfluss, dem man in Harold Staves Nähe ausgesetzt ist«, sagte der Reverend. »Es gibt mehr als eine Sorte Verbrechen. So hat Shadowclock zum Beispiel keine Armenfürsorge, welche sich um die Familien kümmert, die in schweren Zeiten ins Unglück geraten. Die Stadt ist eine Bergarbeitersiedlung – wenn du nicht arbeiten kannst, dann ist es dem Statthalter lieber, du nimmst keinen wertvollen Platz weg, sondern überlässt ihn möglichst schnell einem anderen, der ordentlich zupacken kann. Es ist ein böser Ort, wenn man
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