Das Koenigreich des Sommers
tun. Gawain mußte das gewußt haben, weil er mir bisher getraut hatte. Obwohl ich dachte, es wäre eine schöne Sache, wenn mein Herr mit Medraut ein bißchen sanfter umginge, so konnte ich doch keinen Verrat und keine Tricks anwenden, um ihn dazu zu bringen. Das wäre ja das gleiche, als ob die Sanftheit überhaupt nicht existierte. Und dann, als ich den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht hatte, bemerkte ich plötzlich, daß ich Medraut doch nicht so ganz traute. Ich würde erst einmal abwarten müssen. Ja, ich würde abwarten.
9
Als wir etwa eine Stunde später nach Degganwy zurückkehrten, ging ich, um Rhuawn zu suchen. Ich mußte lange ausschauen, aber schließlich fand ich ihn. Er war bei Medraut, und die beiden saßen zusammen in einer stillen Ecke der Festhalle in der Nähe des Feuers und spielten abwechselnd Harfe. Beide blickten auf, als ich zu ihnen herüberkam, und Medraut lächelte und deutete mir an, ich solle Platz nehmen. Ich setzte mich und lehnte mich gegen eine der Bänke. Rhuawn sang ein langes Lied zum Lob des Frühlings: »Wo Krieger in all ihrer Pracht vor ihrem Hohen Herrn leuchten«.
Als Rhuawn geendet hatte, nahm Medraut die Harfe. Er begann, müßig vor sich hinzuklimpern, wie Männer das so tun, ehe sie sich für ein Lied entschieden haben. Die Töne klangen wie leise Wellen, wie der Wind auf einem Teich.
»Solche Lieder haben wir auch auf irisch«, sagte er zu Rhuawn. »Es gibt eins, das angeblich von einem großen Feldherrn stammt, von Fionn MacCumhail. Es ist das längste und langweiligste der ganzen Liederschar, deshalb muß es natürlich jedermann auswendig lernen.« Er spielte noch ein bißchen, und die Tonfolgen glitten unter seinen Fingern ineinander, während er träumerisch ins Feuer starrte. »Mein Bruder ist im Frühling geboren«, sagte er nach einer Weile, »in diesem Mai wird er siebenundzwanzig.« Eine Art Melodie begann sich aus der Musik herauszukristallisieren, dann verschwamm sie wieder. »Ich frage mich, ob ich ihm wohl ein Geschenk geben könnte.«
Rhuawn schnaufte. »Ich glaube nicht, daß du ihm was schenken solltest. Und wenn du es doch tätest, dann würde er es wahrscheinlich nicht von dir annehmen.«
»Ich könnte ihm vielleicht dadurch zeigen, daß er mir nicht gleichgültig ist.«
»Ich glaube nicht, daß er sich darum kümmern würde. Er hört mir gar nicht zu, wenn ich versuche, bei ihm für dich zu sprechen. Er hält sich sehr zurück.«
Medraut lächelte Rhuawn warm an. »Ich danke dir sehr für deine Anstrengungen. Es ist gut, bei so etwas einen Freund zu haben. Aber wirklich, ich glaube, er mißversteht mich nur. Wenn ich geduldig und großzügig bleibe, dann sieht er wenigstens, daß ich
nicht sein Feind bin.«
Rhuawn zuckte die Achseln. »Wenn das geschieht, dann schwimmen die Falken, und die Lachse fliegen.«
»Mein Bruder kann schwimmen, und sein Name heißt >Falke<. Ich frage mich.«
Rhuawn richtete sich auf und beugte sich nach vorn. Er streckte die Hand aus, um seine Worte zu unterstreichen. »Dein Bruder wird störrisch bleiben. Er hat mir das schon deutlich gemacht, überdeutlich. Ich weiß nicht warum, aber er ist gegen dich und wird seine Meinung nie ändern.«
Ich öffnete den Mund, um irgend etwas zu Gawains Verteidigung zu sagen, aber Medraut sprach schon. »Ich kann seine Freundschaft einfach nicht aufgeben. Er ist mein Bruder.«
»Er hat dich verlassen. Er hat Artus den dreifachen Eid geschworen, und der ist ihm wichtiger als seine eigene Familie. Er erzählt den Leuten, daß du und deine Mutter der Zauberei verfallen seien, und er trampelt auf eurer Ehre herum. Ich an deiner Stelle hätte keine Bedenken, ihn seine eigene Schande entdecken zu lassen.«
Ich starrte Rhuawn erstaunt an. Aber Medraut schüttelte den Kopf. »Es ist nicht Gawains Schuld.« Er hörte einen Augenblick auf, Harfe zu spielen, und begann dann noch einmal in einem anderen Rhythmus. Er fuhr fort: »Hör zu, Rhuawn. Ich will dir etwas erzählen, was mir eingefallen ist.«
Rhuawn hörte aufmerksam zu. Ich preßte den Mund zusammen und kaute auf meiner Unterlippe, um mich daran zu erinnern, daß ich den Mund halten wollte.
»Es handelt sich um diesen Schlachtenwahnsinn, der Gawain befällt und von dem du mir erzählt hast.« Medrauts Harfe klang beständig weiter. »Als mein Bruder noch jung war, soweit ich mich erinnere, kannte er so etwas nicht. Er hatte früher immer Streit mit Agravain, und Agravain hat ihn jedesmal geschlagen. Er hat nie ein
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