Das Koenigreich des Sommers
wir gefolgt waren, und änderte die Richtung, als ob er das Tal zwischen zwei großen Hügeln erreichen wollte. Wir ließen die Pferde wieder im Schritt gehen. Gawain warf einen Blick zu mir zurück, lächelte und zügelte sein Pferd, bis ich ihn eingeholt hatte.
»Rhys«, sagte er, »kannst du auf Bäume klettern?«
Ich öffnete den Mund und klappte ihn dann wieder zu wie ein Fisch. »Was? Ich meine - ja, das kann ich. Natürlich gewöhnliche Bäume, keine Eschen. Aber.«
»Das ist gut. Selbst schaffe ich das nicht so besonders. Auf den Inseln hatten wir nicht allzu viele Bäume.« Er lächelte wieder und erklärte: »Dort steht ein Baum, wo einer von den Männern meines Herrn hier in Gwynedd die Briefe und Nachrichten hinterläßt, die mein Herr mir schickt. Aber man muß klettern, um den Platz zu erreichen, und, wie ich schon sagte, ich kann nicht so gut klettern.«
Wir ritten noch ein Stückchen weiter, und dann stellte Gawain sich im Sattel auf und spähte zu irgend etwas hinüber. Er ließ Ceincaled nach rechts gehen. Bald kamen wir zu einem Waldrand, und dort stand riesengroß und alles beherrschend ein gewaltiger Eichbaum. Mein Herr zügelte sein Pferd und saß ab. »Das ist er«, sagte er und starrte einen der Äste an. »Und dort ist auch eine Botschaft.«
Ich schaute den Ast an. Für mich sah er wie ein Ast aus. »Woher weißt du das?«
Er schaute zu mir herüber. »Als wir von der Straße abbogen, lag dort ein Zweig Stechpalme. Das bedeutet, daß ich den Baum aufsuchen soll. Wenn die Botschaft dringend ist, dann liegt auch noch ein Fichtenzweig dabei. Wenn ich die Nachricht habe, nehme ich die Zweige weg.« Er legte eine Handfläche an die Eiche und schaute wieder zu ihr auf. »Kannst du da hinaufklettern?«
Der Baum hatte breite Äste, die ein Stück vom Boden entfernt waren. Aber eine riesige Astgabel war in Reichweite. »Aber sicher.«
Ich sprang vom Pferd und kletterte. Es war genau wie bei den Apfelbäumen auf den Obstwiesen unseres Clans. »Wohin stecken sie denn den Brief?«
»Wo der große Ast eine Gabel bildet, rechts von dir, ist eine Höhlung. Ja, dort.«
Ich beugte mich nach vorn und suchte die Höhlung mit der Hand. Etwas Stacheliges war darin. Ich zog es heraus; es war ein Kiefernzapfen. Ich nahm ihn in die andere Hand und langte noch einmal hinein: nur rauhe Eichenrinde und die feuchten Blätter des letzten Jahres.
»Es ist nichts da«, sagte ich Gawain.
»Nichts? Was hast du denn in der Hand?«
»Nur einen Kiefernzapfen.«
»Das ist die Nachricht. Bist du sicher, daß nichts Weiteres darin liegt?«
Ich sagte, ich sei sicher, und er befahl mir, wieder herabzuklettern. Als ich ihn erreicht hatte, nahm er den Kiefernzapfen und drehte ihn in den Fingern.
»Willst du ihn aufbrechen?« fragte ich, beeindruckt durch die Klugheit dieses Systems.
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Das bedeutet nur, Artus hat meinen letzten Brief empfangen.« Er seufzte, warf den Kiefernzapfen in den Wald und ging zurück zu Ceincaled. »Ich hatte auf mehr gehofft.«
Ich sah ein, daß man beim Empfang eines Briefes aus solcher Entfernung irgendein Zeichen geben muß, daß der Brief sein Ziel erreicht hat. Aber das System kam mir trotzdem sehr kompliziert vor. Ich sagte das auch.
»Das muß so sein«, meinte Gawain. »Jede Nachricht geht auf ihrer Reise durch mehrere Hände, und jeder einzelne der Männer könnte von Maelgwyn oder irgendeinem anderen Herrscher gekauft sein. Er könnte auch getötet werden, und dann wäre die Nachricht verloren. Diejenigen, die die Briefe befördern, wissen nicht, was sie bei sich tragen. Der Mann, der den Kiefernzapfen dort hinlegte, hatte nur den Befehl, genau das zu tun. Es gibt noch ein paar andere Zeichen; Artus und ich haben sie ausgemacht, ehe wir abreisten.«
Plötzlich begriff ich, daß Gawain mir sehr viel anvertraute. Wenn ich Maelgwyn erzählte, was ich wußte, dann würde er die Eiche bewachen lassen und die Boten aufgreifen. Vielleicht konnte er dann durch ihn auch die anderen von Artus’ Gefolgsmännern in Gwynedd ausfindig machen. Aber selbst wenn ich nichts sagte, es würde für mich einfach sein, die Nachrichten verschwinden zu lassen oder auszutauschen. Wenn Medraut mir sagte, ich solle irgend etwas dort hinlegen, dann konnte ich seinen Brief in die Höhlung legen und einen Stechpalmenzweig auf dem Weg zurücklassen. Gawain würde dann denken, Artus hätte ihm aufgetragen, seinem Bruder gegenüber freundlicher zu sein.
Aber ich konnte es nicht
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