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Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman

Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman

Titel: Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Hunt
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so groß wie seine Begleiter. Er trug einen Umhang aus Leopardenfell, und ein gegliederter Metallschwanz schwang hinter ihm her, als er von einer Seite zur anderen hüpfte und mit einem rostigen Eisenstab, auf dem eine Adlerfigur thronte, durch die Luft fuhr. Schmutziges Wasser lief über den Käfigboden, als das Gefängnis dröhnend auf der Erde aufsetzte, und einer der Stammesbrüder steckte seine Hand ins
Türschloss, verband sich mit dem Käfig und ließ die Tür aufspringen. Der Kommodore sah interessiert zu. Er verstand ein wenig von Schlössern, und die wohldurchdachte Konstruktion des Käfigs, in dem man die Expeditionsmitglieder festgehalten hatte, strafte das primitive Erscheinungsbild dieser Leute Lügen. Diese Stammesbrüder mochten wie wilde Schädeljäger aussehen, aber es gab nur wenige Häuser in Middlesteel, deren Türen mit derart ausgeklügelten Schlössern versehen waren.
    »Was haben Sie mit unserem Kundschafter gemacht?«, donnerte Veryann, als sie hinaustrat. »Wieso haben Sie Eisenflanke von uns getrennt?«
    Der kleine Dampfmann tanzte voller Erheiterung. »Eisenflanke ist ein alter Freund, und nun ist er auf einem unruhigen Ritt.«
    »Unruhigen Ritt? Meinen Sie, ihn reiten die Dampfo-Loas? Wird Eisenflanke von einem Ihrer heiligen Geister geritten?«, fragte der Kommodore erschauernd. Die Dampfmann-Götter hatten ihn stets nervös gemacht, seit damals einer der Loas auf der Isla Umsonna Besitz von Kupferspur und seinen Mu-Körpern ergriffen hatte, um einen Angriff der felsenartigen Geschöpfe abzuwehren, die dort hausten. Die Dampfmann-Götter waren wankelmütige Wesen und sehr zahlreich – man konnte niemals sagen, wer von ihnen vorbeischauen würde, wenn man sie bei den Gang-gi-ju-Ritualen herbeirief.
    Die Frage des Kommodore schien das kleine Metallgeschöpf beinahe zu kitzeln, und Dampf schoss kreischend
aus seinen Schloten. »Einst ein Loa, einst ein Loa, du dicker haarloser Affe.«
    Es gab keine weiteren halben Antworten mehr, und die Expeditionsoffiziere wurden in einen Durchgang geführt, der tief in den Dschungel hineinragte. Er war mit einem Stahlnetz bedeckt, das von gebogenen Eisenträgern gehalten wurde – der Brustkorb eines mechanischen Wals, der dem Druck des Waldes widerstand. Billy Snow hatte Recht gehabt, diesen Wesen haftete etwas Animalisches an. Sie hatten einen selbstbewussten, federnden Schritt, der gar nicht dem Gang der ruhigen, präzisen Dampfmänner glich, wie man sie in Middlesteel antraf. Der Pfad durch den Dschungel führte zu einem felsigen Hügel, einem verfallenden Tempel, den man in den Stein gehauen hatte. Wer auch immer dieses Gebilde ursprünglich einmal geschaffen hatte, inzwischen waren andere Reliefs und Statuen in ihre Kunstwerke hineingehauen worden – auf ungelenke Weise, aber doch so, dass sie Dampfmännern glichen.
    »Ich dachte, Ihr Volk hätte kein Gespür für Kunst«, brummte der Kommodore.
    »Verwechsle uns nicht mit dem Metallvolk in deinem Affenland«, sagte ihr Führer. »Wir folgen dem wahren Pfad des Fürsten Zwei-Teer.«
    »Und ich bin sicher, es ist ein guter Weg«, sagte der Kommodore. »Aber wie wäre es, wenn Sie uns nun gehen ließen, anstatt sich um eine kleine, elende Reisegruppe zu bemühen, die sich nur einen ehrlichen Weg durch Liongeli bahnen will?«

    »Ihr seid doch unsere Gäste«, kicherte das kleine Wesen. »Wir haben die Pflicht, euch zu unterhalten. Oder war es andersherum? Man kommt so schnell durcheinander.«
    Die Gänge im Tempel waren, wenn auch nur schwach, von gezackten grünen Kristallen erleuchtet, die mit chemischen Batterien in Kohlenpfannen verbunden waren, und das Rauchen und Summen der wilden Energie wurde allmählich vom Klang lauter Trommeln übertönt. Die Offiziere wurden in einen breiten, schattigen Raum unter dem Hügel gestoßen, mitten hinein in eine ausgelassene Feier – Metallgeschöpfe duckten und wanden sich vor einer Grube, die mit rot glühenden Kohlen gefüllt war. Viele der wilden Dampfmänner hatten sich in eine wahnsinnige Ekstase hineingesteigert und rissen sich Glieder vom Leib – Arme, Beine, Sichtplatinen, Sprechvorrichtungen –, um sie dann an einem dornenbewehrten Totempfahl zu befestigen, bevor sie andere Konstruktionsstücke schnappten, in die brennenden Kohlen hielten und sie sich auf die leeren Stümpfe oder Höhlen drückten; danach tanzten sie weiter. Durch dieses verrückte Tauschen von Körperteilen humpelten manche der Stammesbrüder auf Armzangen oder

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