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Das Königshaus der Monster

Titel: Das Königshaus der Monster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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Als wir den Postraum betraten, war sie dort, wo sie immer war, und sortierte Akten mit gewohnter roboterhafter Automatik. Unser Eintreffen begrüßte sie mit einem kurzen Grunzen.
    Ich trat an ihre Seite und blickte in das schweißnasse, mehlweiße Gesicht, betrachtete die durch jahrzehntelange Überfütterung aufgequollenen Züge – und erkannte die Wahrheit.
    »Estella?«, fragte ich.
    Die Frau hatte sichtlich Schmerzen. Etwas war in ihr, das stieß und riss und zerrte und hinauswollte. Es war gefangen in ihr wie der Geist in der Flasche. Wie eine Spinne im Marmeladenglas.
    Hinter uns ging die Tür auf, und vom anderen Ende des Raumes ertönte eine unerwartete Stimme. »Hallo, Henry! Hallo, Barbara!«
    Es war Peter Hickey-Brown – verwirrt, heiser und ganz uncharakteristisch gerührt. »Ich wusste, dass ihr mich holen kommt!«, keuchte er.
    Barbara schien sich seltsamerweise durch diese neueste Wendung nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. »Ob Sie mir glauben oder nicht, ich habe gleich auf Sie getippt.«
    Hickey-Brown durchquerte den Postraum und kam auf die schwitzende Frau zu.
    »Bleiben Sie weg!«, warnte Barbara.
    »Bitte!«, schmeichelte Peter. »Ich flehe Sie an, erlauben Sie mir, sie noch einmal zu berühren!«
    »Hat es Ihnen gefallen, sie zu berühren?«
    »Natürlich!«, gestand mein früherer Boss. »Natürlich hat es mir gefallen!«
    »Ich habe eine gewisse … innere Verbundenheit mit dieser Frau«, sagte Barbara. »Ich weiß, dass Sie ganz verrückt danach waren.«
    »He!«, rief Hickey-Brown. »Streite ich es denn ab?« Er kicherte leise. »Sie schmeckte aber auch dermaßen gut! Ganz exquisit!«
    Ich räusperte mich. »Hätte ich vielleicht die Chance auf eine Erklärung?«
    »Leviathan leitet seine Flucht in die Wege«, sagte Barbara. »Die Bestie hat den Körper dieser Frau verändert, ihre DNA manipuliert. Das hat irgendetwas mit ihrem Schweiß bewirkt, hat ihm die Eigenschaften eines Halluzinogens verliehen. Seit Hickey-Brown das entdeckt hat, sammelt er ihn, lässt ihn synthetisch kopieren und verkauft ihn weiter. Er dealt mit Estellas Schweiß und nennt ihn Ampersand.«
    Mein früherer Vorgesetzter hob die Schultern. »Ich gehe eben zu einer Menge Gigs!«
    Ich starrte ihn an. »Wie haben Sie das geschafft? Ich meine, wie, um alles in der Welt, sind Sie überhaupt dahintergekommen?«
    »Sie war so köstlich«, sagte er einfach, »ich konnte ihr einfach nicht widerstehen.«
    Unfähig, sich zurückzuhalten, stürzte er wie ein Schokoladesüchtiger, der einen Dessertwagen erblickt, mit gespreizten Fingern durch den halben Raum, um hechelnd nach dem großen Los zu greifen. Ich nehme an, er wollte Estella ein letztes Mal berühren, und das Verlangen, die Gier danach begrub jeden noch vorhandenen Rest Rationalität unter sich.
    Er war nicht einmal in die Nähe der Frau gekommen, als Barbara ihn mit der Mühelosigkeit, die Sie und ich aufwenden, um mit der Wochenendbeilage unserer Zeitung eine Wespe zu verscheuchen, zur Seite schleuderte. Hickey-Brown krachte zu Boden, und ich hörte das laute, endgültige Knacken, als er sich das Genick brach; seine Besuche bei den diversen Gigs waren ein für alle Mal vorbei.
    Barbara widmete ihre Aufmerksamkeit sofort der dicken Frau – der ursprünglichen Estella, der Form, der sie entsprungen war. Sie trat an ihre Seite, kauerte sich hin und strich ihr mit seltsam anmutenden mütterlichen Gesten über die Wangen und die Haare; dazu gurrte sie beruhigende Worte.
    Estella blickte hoch zu diesem unheimlichen, unwirklichen Spiegelbild ihrer selbst; Unverständnis und Verwirrung standen in ihren eingesunkenen Augen.
    »Was haben sie uns angetan«, murmelte Barbara. »Was, zum Teufel, haben sie uns nur angetan!«
     
    Estella begann zu husten. Es fing als simples Räuspern an und steigerte sich zu etwas Hartem, Qualvollem, bevor es zu einem furchtbaren Krampf wurde, als sich der Schleim, all das, was in ihr war und hinauswollte, rasselnd einen Ausgang suchte.
    »Barbara?« Wir standen beide nur da und sahen zu, wie die Bestie in ihrem Innern diese arme Frau schier auseinanderreißen wollte.
    Barbara war wie erstarrt. »Sie müssen sie töten«, sagte sie langsam.
    »Ich?«
    »Wenn Sie es nicht tun, kommt Leviathan frei. Die Stadt wird vernichtet. Es wird Opfer ohne Zahl geben.«
    Die Frau hustete und keuchte und verspritzte Auswurf. Sie bebte und zitterte und schien nahe daran zu bersten.
    »Ich kann nicht«, flüsterte ich. »Ich kann es nicht tun!«
    Barbara zog

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