Das Königshaus der Monster
ein schlankes Messer hervor, wie geschaffen zum Zerlegen von Fleisch, drückte mir seinen Griff in die Hand und sagte kein Wort.
Und dann geschah etwas Außerordentliches. Etwas Unfassbares und Phantastisches an einem Tag, der längst durch beides gekennzeichnet war.
Zu allererst kam der Geruch, so stechend, dass er selbst den vorherrschenden Kellergestank nach alten Socken überlagerte: der Schießpulvergeruch von Feuerwerken, gekoppelt mit dem süßlichen Nachgeschmack von Brausepulver. Gefolgt wurde dies von einer heftigen Luftbewegung und einem schwindelerregenden Farbenrausch aus Blau, Pink, Braun und Schwarz.
Und schließlich pulsierte das Nichts, und aus einem Kräuseln materialisierten unglaublicherweise links und rechts von Estella die Präfekten.
Boon schürzte die Lippen und machte: »Ts-ts-ts. Übler Husten.«
»Klingt, als hätte sie einen Frosch im Hals«, bemerkte Hawker.
»Furchtbar großer Frosch!«
»Eher ’ne Kröte!«
Sie wieherten wie verrückt.
Hawker gab Estella einen kräftigen Klaps auf den Rücken. »Na los, alte Pflaume, raus damit!«
Sie stöhnte auf, aber er schlug trotzdem noch einmal zu. Boon schloss sich ihm an, und dann droschen sie beide mit größtem Vergnügen zu und wetteiferten kichernd darum, wer von ihnen die Frau mit größerer Wucht treffen konnte.
Ich schloss die Finger fest um den Griff des Messers und machte einen Schritt vor. Ich wusste, was ich zu tun hatte. Doch bis heute bin ich mir nicht sicher, ob ich tatsächlich fähig gewesen wäre, es auszuführen; ich befürchte sehr, dass ich es schließlich und endlich nicht fertiggebracht hätte.
Estella hustete mit einer solchen Heftigkeit, dass die Anstrengung begonnen hatte, sie zu erschöpfen. Sie hing schlaff in ihrem Stuhl, hilflos gegenüber dem Aufruhr in ihrem Körper. Ihr Unterkiefer fiel herab, der Mund stand offen, und sie starrte blicklos an die Decke.
Dann erschauerte sie plötzlich und schrie auf – doch diesmal folgte kein Hustenkrampf, sondern das entsetzliche Aufheulen einer Höllenqual. Von Brechreiz überkommen, sah ich zu, als etwas aus ihrem Mund hervorströmte; flüssig und schwammig weich, erzwang es sich einen Weg aus ihrem Leib – ein Strahl aus Haut und Schleim, ein Laser aus Fleisch.
In Anbetracht der Menge an Substanz, die von ihrem Körper ausgestoßen wurde, erschien es völlig unmöglich, dass die Masse je in ihrem Inneren Platz gefunden hatte. Aber langsam gewöhnte ich mich an Unmöglichkeiten.
Nach dem Verlassen ihres Körpers stanzte der Strahl ein sauberes, präzises Loch durch die Decke des Postraums, bohrte sich durch das Mauerwerk des Gebäudes Fitzgibbon Street 125 und schoss so mühelos durch die elf Stockwerke wie eine Pistolenkugel durch ein Blatt Papier. Dann stieg er kometenhaft zum Himmel auf und verschwand.
»Barbara«, fragte ich mit gedämpfter Stimme, »was sollen wir jetzt tun?«
Aber Barbara war nicht mehr da.
Das letzte Ende des Strahls verließ Estellas Körper, und sie glitt vom Stuhl.
Als ich mich umsah, waren auch die Präfekten verschwunden, und ich war allein mit der dicken Frau.
Putz fiel mir in Flöckchen auf Kopf und Schultern, und immer wieder kamen Trümmer von oben herab, dort, wo der Strahl das Dach durchbohrt hatte. Das Gebäude war durch das Loch in seiner Mitte in den Grundfesten erschüttert, es ächzte und knarrte; der hinterhältige Stoß aus seinen Eingeweiden hatte seine ganze Würde in den Staub getreten.
»Henry?« Die Frau lebte immer noch, und jetzt, da die Bestie sie verlassen hatte, fiel ihr auch das Sprechen leichter. Ich wischte ihr den schwarzen Schleim ab, der in ihren Mundwinkeln hing, und fragte: »Sie wissen, wer ich bin?«
»Natürlich. Natürlich weiß ich das.« Sie hob die Hand und zog mich am Ärmel. »Einen schönen Gruß an Ihren Großvater.«
Ich versprach ihr, dass ich es ausrichten würde, aber ich nehme an, sie hat es wohl nicht einmal gehört.
»Wenn man Leviathan in sich trägt …«, sagte sie, »dann bringt das unser wahres Ich zum Vorschein. Es zeigt der Welt, was man wirklich ist.« Ein unheilvolles Splittergeräusch kam vom Dach herab. »Ich habe versagt.«
Ich drückte ihre Hand in dem Versuch, sie zu beruhigen.
»Leviathan ist losgelassen«, flüsterte sie. »Er hat schon Verstärkung angefordert. Und sie werden den gleichen Fehler kein zweites Mal begehen.«
Ein erneutes Krachen kam von oben, ein weiterer Schauer aus Stuck und Staub, und wieder fielen ein paar Trümmer aus großer
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