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Das Königshaus der Monster

Titel: Das Königshaus der Monster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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eines Schwammes, der sich an die Scheibe presste.
    Es war wie ein Zauber, so als schwebe der Mann in der Luft. Doch die Illusion wurde zerstört, als der Mann durchs Fenster hereinlugte, meine Mutter anstarrte und ein Auge zusammenkniff. Mama kicherte – ein Geräusch, das an diesem Ort geradezu absurd unpassend wirkte: wie Gelächter in einer Totenhalle oder Grimassen im Krematorium.
    Ich strafte den Mann mit einem eisigen Blick, aber ich musste leider bemerken, dass Mama hinausgrinste.
    Wie als Reaktion auf dieses pantomimische Schäkern gab die lebenserhaltende Apparatur ein vom üblichen Piepsrhythmus abweichendes Zirpen von sich – ein elektronisches Rülpsen, einen quäkenden SOS-Ruf.
    Ich war augenblicklich auf den Beinen. Der Fensterputzer war vergessen, ich hatte keinen anderen Gedanken, als rasch Hilfe zu holen. Aber dann kehrte der Apparat zum alten Rhythmus zurück, und Mutter befahl mir, das Herumflattern einzustellen und mich wieder hinzusetzen, während sie die ganze Zeit über aus dem Augenwinkel mit dem Fensterputzer kokettierte.
    Kurze Zeit darauf murmelte sie etwas von einer Freundin, mit der sie eine Verabredung habe, und ging. Ich war offenkundig nicht mit eingeladen, also blieb ich bei Großvater sitzen und hielt seine Hand in meiner, bis schließlich die Schwester kam, knurrte, dass die Besuchszeit vorüber sei, und mir die Tür wies. Ich legte Großvaters Hand neben ihn aufs Bett und marschierte schuldbewusst, aber erleichtert hinaus ins helle Licht. Ein Echo des Piepsens blieb in meinen Ohren zurück.
     
    Draußen war es kalt, und es wurde schon dunkel; der Tag kapitulierte vor dem ungeduldigen Drängen der winterlichen Dämmerung. Mein Atem dampfte in der Luft, und ich freute mich schon aufs Heimkommen, als etwas wahrhaft Unglaubliches geschah.
    Zuerst hörte ich nur das Geräusch: eine Art schwaches Kreischen, ein unterdrücktes Aufjaulen, ein ferner Schreckensschrei. Dann schien die Luft vor mir zu erzittern, und vor meinen Augen zuckte ein verwischter Blitz herab – eine Mischung aus Karottenrot, Gelb und Schwarz. Deutlich vernahm ich den dumpfen Schlag, als etwas Großes, Fleischiges und Schmerzverzerrtes vor meinen Füßen landete.
    Wie angewurzelt blieb ich stehen. Ich blickte zur Seite. Dann blickte ich wieder hin, nur um zu sehen, ob ich es mir nicht bloß eingebildet hatte. Aber er lag immer noch da.
    Ein Mann war vom Himmel gefallen und hatte mich nur um eine Handbreit verfehlt.
    Ich war wie gelähmt, zu keiner Bewegung fähig; ich starrte ihn nur an – und er starrte zurück. Völlig unbeteiligt erkannte ich das spitze Gesicht wieder, den roten Haarschopf. Rund um den Herabgestürzten glitzerte es dort, wo Licht aus dem Krankenhaus auf Tausende Glassplitter fiel – ein Sternenhimmel auf dem Erdboden.
    »Henry …«
    Wieso kannte er meinen Namen? Wie, um alles in der Welt, konnte ein Fensterputzer wissen, wie ich heiße?
    »Henry?«
    »Hallo.« Sogar in meinen eigenen Ohren klang es dämlich. In der Ferne waren gebrüllte Befehle und das Dröhnen von Motoren zu hören, und Menschen rannten von allen Seiten in unsere Richtung.
    »Die Antwort ist ›ja‹«, sagte er. Das Sprechen kostete ihn große Anstrengung, und die Wörter zwängten sich in einem brüchigen Krächzen zwischen seinen Lippen hindurch.
    Ich kniete mich neben ihn und griff in meiner panischen Kopflosigkeit nach dem nächstliegenden Klischee: »Ganz ruhig«, sagte ich. »Und versuchen Sie nicht, sich zu bewegen!«
    Aber der Fensterputzer schien fest entschlossen zu reden. »Die Antwort …«, sagte er wieder; seine Augen leuchteten vor Inbrunst, so als wäre dies das Wichtigste, was er je von sich geben würde: »Henry …« Er stöhnte erneut und stieß ein grässliches Röcheln aus. »Die Antwort ist ›ja‹.«
    Dann wurde ich zur Seite gestoßen, als Männer herbeistürzten, um zu helfen; es waren professionelle Rettungskräfte mit flatternden weißen Mänteln, präzise formulierten Fragen und schließlich einem Durcheinander von »Nicht anfassen!« und »Wie konnte er denn abstürzen?« und »Wir müssen ihn reinbringen!«. Ich bin sicher, dass das Wort »Wunder« mehr als einmal durch die Luft schwirrte.
    Noch als sie den Mann vorsichtig auf eine Trage legten, ihn zu beruhigen versuchten, ihm etwas gegen die Schmerzen gaben und ihn wegbrachten, fuhr er fort, mich anzustarren und immer wieder dieselben Worte mit den Lippen zu formen: »Die Antwort ist ›ja‹.«
    Ich starrte zurück, konnte mich nicht vom

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